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Tief und geschmackvoll: Zwei Compilations vom Sonarkollektiv
: Cut-up in Dub

Compilations sind eigentlich die einzigen Platten, die man sich kaufen sollte. Normale Künstleralben füllen meistens lauter Stücke, die keine weitere Funktion haben, als die Hitsingles in ein Soundkontinuum einzufügen, das sich ähnlich anhört, aber längst nicht so gut ist. Fängt man jedoch einmal an, sich ernsthaft 12 Inches zu kaufen, ist man schnell ein armer Mann und hat immer noch nicht alles, was man eigentlich haben möchte. Ganz davon abgesehen, dass einem oft der Überblick fehlt. Dass man diesen oder jenen Künstler mag, so weit geht das Interesse ja meist noch, aber welcher Remix nun der jeweils beste ist – will man das wirklich wissen?

Will man nicht. Deshalb Compilations. Man delegiert die Entscheidung an Leute, die sich damit schon von Berufs wegen auskennen. So werden gute Compilations von DJs gemacht, die dann das versammeln, was wirklich wert ist, gehört zu werden, und die dem Ganzen außerdem noch eine schöne Dramaturgie geben. Besonders viel wert ist dieses Konzept, wenn es um Clubmusik geht – wofür gibt es schließlich DJs? Besonders schön an diesen Compilations ist, dass sie sich meist in Serien anordnen: Es doppelt noch den Überblickscharakter, den die Platten ohnehin schon haben. Man denke etwa an die K7-DJ-Kicks-Alben. Obwohl die unterschiedlichsten Arten von Musik drin sind, sehen alle Platten ähnlich aus, und irgendwie passen sie auch zusammen. Hält man sie in der Hand, weiß man auf jeden Fall, was einen erwartet.

Das Sonarkollektiv als Zusammenschluss von DJs, Musikern und Produzenten, der sich um die Jazzanova-Jungs angesiedelt hat, bringt ebenfalls zwei Compilation-Reihen heraus. Da wäre zum einen die „Dub Infusions“-Reihe, die mit „More Dub Infusions“ nun in die zweite Runde geht. Verantwortlich für die Auswahl und den Mix ist der Downtempo-DJ Daniel Haaksmann.

Ähnlich wie in der ersten Folge sind ältere Stücke mit neuen vermischt, also so wunderbare Stücke, wie „King In My Empire“ von Cornell Campell und Rhythm & Sound, stehen neben der Instrumentalversion von „Tag am Meer“ der Fantastischen Vier. Dazwischen ein Stück von Gus Van Sant zusammen mit William S. Burroughs: Das hört sich gut an und passt, denn Borroughs Cut-up-Techniken kann man, wenn man so will, auch als dem Dub irgendwie verwandt verstehen.

„Off Limits“ ist die andere Reihe, und „Off Limits 3“ ist bereits die dritte Platte. Zusammengestellt und gemixt wird sie von dem House-DJ Dixon. Wollte man nach einer Parallele zu „More Dub Infusions“ suchen, könnte man sagen, „Off Limits 3“ ist ähnlich deep. Wobei deep einer der Begriffe ist, die alles und nichts beschreiben. Deep heißt bei Dixon mitnichten, dass dies nun alles Deep House wäre, obwohl man auch so etwas finden kann; eher schon heißt es, dass der ganze Mix von einer sehr spezifischen, emotionalen Tiefe getragen wird. Die Bandbreite reicht hier von Morgan Geist über Jazzanova zu Jaydee.

Auch wenn man bei der Musik des Sonarkollektivs mitunter das Gefühl hat, es sei fast zu viel Geschmack am Werk: Hier ist es genau richtig. Wunderbare Platten also, die auch elegant das Problem umgehen, dass man beim Abwaschen, Bügeln, Aufräumen, Computerspielen, Kochen, Steuererklärungmachen, Kaffeetrinken oder Unterhalten wohl Tanzmusik hören, aber nicht tanzen möchte. Man kann mit dem Fuß wippen oder mit dem Kopf nicken. Will man mehr, sollte man ausgehen. Und dafür braucht man keine Compilations.

TOBIAS RAPP

„More Dub Infusions“ Best Seven / Groove Attack / Zomba

„Off Limits 3“ Recreation Records