„Wo ist der Neger?“

In Wittstock brachen im Mai fünf Jugendliche in eine Wohnung ein und überfielen einen Afrodeutschen. Der 18-Jährige entkam knapp. Die Angreifer stehen nun vor Gericht

Süß und exotisch sei das Kind mit der dunkelbraunen Haut und den schwarzen Locken, sagten die Nachbarn, als Gisela G. 1986 den dreijährigen Manuel adoptierte. In der damals 15.000 Einwohner großen Stadt Wittstock schien es niemand ungewöhnlich zu finden, dass die Sozialarbeiterin das Heimkind – Sohn eines mosambikanischen Vertragsarbeiters und einer Deutschen – nach Hause brachte. Heute ist Manuel 18 und ausgebildeter Koch. Doch für viele Altersgenossen in der Stadt auf halber Autobahnstrecke zwischen Berlin und Hamburg ist er „der Nigger“. Ein Fremdkörper, den sie auf dem Weg zur Berufsschule in der Regionalbahn anpöbelten.

An die Beschimpfungen hatte Manuel sich gewöhnt. Doch seit 20. Mai 2001 ist Angst dazugekommen. In abgehackten Sätzen erzählt er, wie er an jenem Abend aus dem vierten Stock des Plattenbaus, in dem sein bester Freund wohnte, über Balkonbrüstungen flüchtete. Da hatten fünf junge Männer mit Militaryhosen schon die Wohnungstür eingetreten und „Wo ist der Neger?“ gebrüllt. „Als ich im zweiten Stock ankam, hatte ich keine Kraft mehr“, erzählt Manuel. Er fiel auf den Rasen. „Ich wusste nur, dass ich rennen musste.“ Sein Ziel, das Krankenhaus, erreichte er morgens um halb fünf. Immer wieder hatte er auf der Flucht das Bewusstsein verloren.

Die Eindringlinge hatten seinen Freund mehrfach ins Gesicht geschlagen und die Wohnzimmereinrichtung zerstört. Einer kehrte vermummt sogar zurück und drohte: „Sag deinem Neger Bescheid, den kriegen wir noch!“ Als die Polizei kam, standen die fünf noch vor dem Haus und tranken Bier.

Als „fremdenfeindlich motivierte Straftat“ wird die Jagd auf Manuel geführt. Die amtliche Statistik kennt weder das Motiv „Rassismus“ noch die Opfergruppe „schwarz und deutsch“. Aber vielleicht wurde der Begriff der „Fremdenfeindlichkeit“ auch gewählt, weil im selben Jahr schon ein ebenfalls schwarzer amerikanischer GI in Wittstock angegriffen worden war.

Im November verurteilte das Amtsgericht Neuruppin den einschlägig vorbestraften 19-jährigen Dennis S. als Haupttäter des Angriffs auf Manuel zu einer Gesamtjugendstrafe von drei Jahren und drei Monaten Haft. Seit gestern wird nun vor dem Jugendschöffengericht Neuruppin gegen vier weitere mutmaßlich tatbeteiligte 20- bis 23-jährige Rechte aus Wittstock und Neustrelitz verhandelt. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen unter anderem gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung, Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung vor. Zudem soll sich die Gruppe zuvor mit der indizierten CD „Herrenrasse“ der Neonaziband „Macht und Ehre“ eingestimmt haben, „um den Neger fertig zu machen“.

Schweigend und mit geschorenen Glatzen ließen Dennis E. (21), Sven K. (23), Daniel E. (22) und Karsten S. (21) die ersten Prozessstunden an sich vorbeiziehen. Alle vier sind als Rechte aufgefallen; Sven K. wurde 1998 wegen eines rassistischen Brandanschlags auf einen türkischen Imbiss zu drei Jahren Jugendstrafe verurteilt. Zum Zeitpunkt des Angriffs auf Manuel befand er sich unter Führungsaufsicht. Bei Karsten S., der vom Ex-bundesführer der verbotenen Wiking-Jugend und Anwalt Wolfram Nahrath verteidigt wird, wurden nach dem Angriff unter anderem eine Schreckschusswaffe, eine Pistole, ein Seitengewehr, einen Baseballschläger, über 100 rechtsextreme CDs und eine Hakenkreuzbinde beschlagnahmt.

Seit Anfang der 90er-Jahre war Wittstock immer wieder durch systematische Hetzjagden auf linke Jugendliche und MigrantInnen aufgefallen. Der Angriff auf Manuel habe dazu geführt, „dass das Problem jetzt nicht länger verschwiegen wird“, sagt die stellvertretende Bürgermeisterin Bärbel Pekrul. Sie ist eigens mit weiteren Mitgliedern des Aktionsbündnisses gegen Rechts zum Prozess angereist. „Um zu zeigen, dass in Wittstock die Schwachen nicht allein sind.“

Auf den Stühlen hinter ihr lacht ein Glatzkopf und zeigt offen sein Werbe-T-Shirt für „Combat 18“, die internationale Neonaziterrororganisation mit deutschem Ableger. Als der Prozess nach zwei Stunden auf nächste Woche vertagt wird, versuchen andere Rechte, die linken Jugendlichen, die zur Unterstützung der beiden Opfer angereist sind, durch Filmaufnahmen einzuschüchtern. Manuel will keine Angst mehr haben. Er ist aus Wittstock weggezogen.

HEIKE KLEFFNER