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Kirschen in den Ohren

Wie der 1. FC-Köln zu Musik wird: „MaerzMusik“ führt es vor. Klang wird alles, was der Fall ist

von BJÖRN GOTTSTEIN

Majonäse, erklärt der österreichische Komponist Klaus Lang, sei ein einziger Trug. Die klebrige Masse täusche Homogenität bloß vor: Ei und Öl lassen sich überhaupt nicht mischen! Das Prinzip der Majonäse sei es, die beiden heterogenen Bestandteile in so kleine Tröpfchen zu schlagen, dass der Schein einer Legierung entsteht.

Mit dem Musiktheater, so Langs Brückenschlag zwischen Frittenküche und Opernhaus, verhalte es sich ähnlich. Auch hier könne Optik und Akustik sich nie wirklich vermengen.Die Kongruenz der Sphären bleibt Illusion! Mit „kirschblüten.ohr“ tritt Lang gemeinsam mit der Bühnenbildnerin Claudia Doderer den Beweis seiner These an. Klang und Licht werden unter dem Mikroskop als unvereinbar enttarnt. In der Realisation bedeutet dies: Der Raum bleibt dunkel, so lange Langs sparsam gesetzte Schlagzeugklänge tönen, stumm während Doderers Lichter leuchten. Ob der Hörer dann wirklich „gleichsam hörend sein eigenes Ohr betritt“ (Lang), darf allerdings bezweifelt werden.

“kirschblüten.ohr“ eröffnet heute Abend im Hebbel-Theater Berlins neues Neue-Musik-Festival „MaerzMusik“. Langs kühne Majonäse-Metapher für die Unvereinbarkeit der Künste ist beispielhaft für das Konzept des Festivals. Es ist mit viel Witz entworfen, das zu erwartende Ergebnis hingegen fragwürdig.

Da ist zum Beispiel die Fortsetzung einer kuriosen Plakataktion des amerikanischen Künstlers Christian Marclay, der Berlin 1996 mit leeren Notenblättern zukleisterte. Die wunderbar verschmierten, zum Teil von Passanten um Notensplitter ergänzten Plakate werden jetzt von einem Ensemble als „Graffiti Composition“ zur Uraufführung gebracht. Es ließe sich lange ausführen, wie hier der Schmutz der Stadt in Musik verwandelt wird. Aber eigentlich hat man schon in den Sechzigerjahren erkennen müssen, dass die Interpretation freier, grafischer Partituren regelmäßig zu musikalischen Belanglosigkeiten führt.

Einen Sack voll Selbstironie bewiesen die Veranstalter mit der Entscheidung, Cages „Radio Music“ für vier Radioempfänger zur Zeit der samstäglichen Bundesliga-Konferenzschaltung zu programmieren und den wundersamen Weg zum Nichtabstieg des 1. FC Köln im Spiel gegen Wolfsburg zum Kunstwerk zu erheben. Großartiger Unsinn ist es auch, Cages stilles Stück „4’33“ sechs Mal von unterschiedlichen Interpreten aufführen zu lassen. Gewiss ist es ein Erlebnis, das intensive Knistern der Konzertsaalatmosphäre ohne Musik zu erfahren. Aber der sechsmaligen Reproduktion dieses Knisterns lässt sich bestenfalls mit einem gut gewillten “Puh“ begegnen. Die Musik Cages hat man ohnehin mit großem Ächzen versehen. Ein zwölfstündiges Happening stellt am Samstag den amerikanischen Komponisten nicht nur in ganzer Wirkungsbreite aus, es verlangt vom Publikum auch Pobacken aus Stahlbeton.

Schert man das Programm der MaerzMusik über einen groben Kamm, dann bleiben eher ein paar lose Haare als dichte Büschel hängen. Auf der ersten Ausgabe des Festivals, das das Erbe der verdienstreichen Musik-Biennale antritt, lastet ein schwerer Schatten. Der Leiter, Matthias Osterwold, wurde zu spät ernannt, um noch ein nietfestes Konzept auszuarbeiten. Die Konzerte wirken folgerichtig zusammengeklaubt: Hier werden alte Kontakte reaktiviert, etwa zu den „Freunden Guter Musik“, dort andernorts langjährig geplante Produktionen schlicht übernommen. Dass zum Beispiel Wolfgang Rihms fünfzigster Geburtstag in den Zeitraum des Festivals (7.-17. März) fällt, ist eine glückliche Fügung, die zu nutzen – etwa in Form einer Uraufführung – nicht gelingen konnte. Jetzt wird ein Konzert aus Basel von ihm übernommen.

Wohl aber wird deutlich, wie Schwerpunkte und Konzertformen in Zukunft aussehen könnten. Der – allerdings missratene –Versuch, Sonic Youth für das Festival zu gewinnen, der Auftritt der chinesischer „Off-Beat“-DJs und die mit Denkwürdigkeitsgarantie versehene Uraufführung einer instrumentalen Fassung der „Metal Machine Music“ unter Mitwirkung von Lou Reed: all das lässt wissen, dass der Konzertsaal und das klassische Ensemble keine alleinigen Träger neuer Musik mehr sind. Ob sich die zersprengten Alternativen der gegenwärtigen Musikpraxis für das auf Ausstrahlung und Repräsentation ausgerichtete Renommeefestival der Berliner Festspiele eignen oder ob nicht doch bloß wieder Majonäse dabei heraus kommt, das wird sich erst in kommenden Jahren zeigen.

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