Der Tragödie zweiter Teil

À la Wowereit: Die Debatte zur Regierungserklärung verkommt bei bürgerlicher Opposition und SPD zur drögen Vorlesestunde. Frank Steffel ringt sich dabei eine Entschuldigung für die Bankmisere ab

von STEFAN ALBERTI

Ohne Leidenschaft keine Genialität, hat Theodor Mommsen, der Nestor der Historikerfamilie, einmal geschrieben. Vielleicht hat er ähnliche Szenen wie die gestrige Debatte im Abgeordnetenhaus erlebt. Drei Männer am Mikrofon, die in eineinhalb Stunden 40 Seiten Text fast wörtlich ablesen. Viele Fehler machen die drei nicht. Für einen Vorlesewettbewerb würde es reichen. Doch die drei sind Frank Steffel, Michael Müller und Martin Lindner, die Fraktionschefs von CDU, SPD und FDP, und mit dem Anspruch ans Mikro getreten, sich engagiert mit den Zielen der Berliner Politik zu befassen.

Es ist der Tragödie zweiter Teil, der an die dröge wowereitsche Regierungserklärung von vor zwei Wochen anknüpft. Gegeben werden: zahlenfixierter Realismus ohne Visionen von Müller, Visionen ohne realistischen Blick auf leere Kassen von Steffel und neoliberale Staatsferne von Lindner. Wie sich lebendig debattieren lässt, machten ihre Chefkollegen Harald Wolf (PDS) und Wolfgang Wieland (Grüne) vor. Die lasen nicht, die redeten, auch wenn ein Zettel vor ihnen lag. Da hörte das Haus zu, da war eine gewisse Spannung zu spüren.

Regierungserklärung und die Debatte darüber auseinander zu reißen, dem parlamentarischen Ablauf seine Spontaneität zu nehmen, ist eine jener anderswo undenkbaren Berliner Besonderheiten. Parlamentarischer Brauch sei das im Abgeordnetenhaus, meint Senatssprecher Donnermeyer.

Was bisher geschehen war: Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) hatte sich vor zwei Wochen ans Rednerpult des Abgeordnetenhauses gestellt und schier regungslos 16 Seiten Text abgelesen. Der Körper sei tot, urteilte der Chef der Deutschen Rednerschulen am nächsten Tag in der Berliner Zeitung über ihn. Inhaltlich mochte er selbst die eigenen Genossen von der SPD-Fraktion nicht richtig überzeugen. Sätze wie „Ich eigne mich nicht zum Jongleur von Seifenblasen“ sollten fehlende Visionen ersetzen. Es half nicht viel, dass fünf Ghostwriter zwei Wochen mit Wowereit an der Rede gebastelt hatten.

CDU-Fraktionschef Steffel hat mit seinen Beratern angeblich fast ebenso lang an seiner Antwort geschrieben. Heraus kam ein staatsmännisch gedachter Einstieg jenseits des Polterers früherer Tage. Von einem neuen historischen Abschnitt Berlins sprach er, Verständnis mimte er für Wowereits schwache Rede – „in dieser Situation Berlins kommt es wirklich nicht nur auf Rhetorik an“. Der zentrale Satz kam nach kaum zwei Minuten: Steffel entschuldigte sich im Namen der Landes-CDU für die Misere der Bankgesellschaft, zumindest „für unseren Teil der Verantwortung“.

Soweit das Staatsmännische. Sagte Wowereit noch vor zwei Wochen, man wolle Berlin auf dem harten Boden der Wirklichkeit voranbringen, so wehrte sich Steffel gegen Sparpolitik ohne Vision und ein Kaputtreden der Stadt. „Berlin ist nicht die Stadt der Buchhalter, sondern die Stadt der Pioniere, der Förderer, der Gründer“, überhaupt der Ort der Avantgarde in schier allen gesellschaftlichen Bereichen. Steffel sah Berlin als „die Experimentier- und Modellstadt Deutschlands“. Woher das Geld zum Experimentieren kommen soll, wusste er hingegen nicht zu sagen.

Einen zweiten überraschenden Aspekt zumindest bot die Rede des Oppositionschefs noch, Denn Steffel predigt jetzt einen programmatischen Umgang mit der PDS, den lange fast allein sein Fraktionsvize Mario Czaja forderte: „Wahrscheinlich hat man im Westen wirklich zu wenig Verständnis entwickelt für die in der DDR geprägten Lebenserfahrungen, zu wenig die Leistungen der Menschen gewürdigt.“