Das Islam-Feeling

Mama, ich bin Muslimin: Zwei turkodeutsche Studentinnen finden zum islamischen Glauben zurück

„In der neuen Gemeinde gibt es keinen Neid. Sie ist ein Zuhause.“

von SEMIRAN KAYA

„Früher war ich voll das Partymädel und lebte nach dem Motto ‚Life ist just for fun‘ “, erzählt die Bonner Jurastudentin Zahide* und lacht über sich selbst. Früher, das war vor fünf Jahren – da sah die Welt der damaligen Schülerin wie bei allen aus: morgens aufstehen, zur Schule gehen, sich abends mit den Freundinnen treffen oder schrill geschminkt in die Disko gehen. Ein unbeschwertes Leben, bei dem der Spaß im Vordergrund stand.

Doch irgendwann kam die große Sinnkrise. „Ich hatte ein richtiges Tief. Ich schmiss die Schule kurz vor dem Abi und jobbte rum.“ Die Frage „Wozu gehst du in die Schule, wozu arbeitest und lebst du, wenn du eh morgen sterben könntest?“ konnte ihr niemand beantworten. Fast ein Jahr lang dauerte diese seelische Leere, bis sie mit 19 Jahren zufällig die Lösung fand: den Islam. Eine Entdeckung, die für sie zum Bekenntnis wurde.

Mit 19 Jahren fand auch Elif* aus Köln zum Islam. Elif ist wie Zahide in Deutschland geboren und zur Schule gegangen. Beide stammen aus nichtreligiösen Familien, wuchsen nur mit ihren deutschen Freunden auf und kennen die türkische Heimat ihrer Eltern nur aus dem Urlaub. „Mit dem türkischen Staat habe ich nichts zu tun. Ein Teil von mir ist zwar türkisch, aber meine Eltern haben mich sehr frei und laizistisch erzogen – ob Schweinefleisch oder Disko. Mein Bruder und ich durften alles, was bei meinen Kusinen verboten war. Natürlich mit Grenzen. Wir hatten nur eine Grundregel: kein vorehelicher Sex“, so die 25-jährige Pädagogikstudentin Elif ganz stolz.

Als sie dann mit einem Kopftuch vor ihren Eltern stand, konnte der Schock nicht größer sein. Dieses Bekenntnis glich dem Geständnis: „Mama, ich bin drogenabhängig.“ Denn ihre Eltern, die seit über 30 Jahren hier leben und in der Türkei zur Istanbuler Oberschicht gehören, hatten herzlich wenig mit dem Islam zu tun. „Es war schon peinlich genug, dass meine Oma in der Türkei ein Kopftuch trug“, gesteht Elif. Die bis dahin tolerante Erziehung stieß an ihre Grenzen: Elif wurde rausgeschmissen.

Doch wie kam es zu dieser Lebensführung, die weder im Elternhaus noch in der deutschen Umgebung gelebt wurde? Und gab es überhaupt einen bestimmten Auslöser? Elif, die strenger und sicherer als Zahide mit ihrer hart erkämpften neuen Identität auftritt, erinnert sich: „Mein Bruder war es, der mich auf den Islam brachte. Er war so wie ich auch sehr verdeutscht. Doch mit seinem Studium in Dortmund änderte sich sein Freundeskreis. Mit seinen neuen Freunden, die alle an einem Wendepunkt ihres Lebens waren und sich der Religion widmeten, änderte sich auch seine Entwicklung. Meine Eltern fanden das nur schrecklich.“

Frei von Spannungen ist der Prozess weder für Zahide noch für Elif verlaufen. Wie so oft in türkischen Elternhäusern galt auch für sie die unausgesprochene Regel, dass Persönliches nicht gemeinsam diskutiert wird, sondern jeder es mit sich selbst ausmachen muss. Eine traditionelle Regel, die schon so manchen Kindern Bauchschmerzen bereitet hat. Bauchschmerzen bekam auch Elif, als sie im Auftrag der Eltern den Bruder von diesen „komischen Leuten“ befreien sollte, weil sie doch ein inniges Verhältnis zu ihm hatte. Diese aufgezwungene Verantwortung aber konnte und wollte Elif nicht gegen das innige Verhältnis eintauschen, auch wenn der Druck seitens der Eltern immer größer wurde. Sie akzeptierte den neuen Lebensweg des Bruders, wollte aber nichts Näheres damit zu tun haben. „Meine Eltern habe ich einfach reden lassen. Ihm habe ich einen richtig theatralischen Brief geschrieben: Er brauche nicht mehr zu kommen, wenn er mich weiter beeinflussen wolle. Wenn er zu Besuch war, ging ich in die Disko oder schaute fern, während er neben mir betete.“

Der Bruder war geschickter: Er hinterließ Elif Bücher über den Islam mit dem Hinweis: „Hier, schau mal, das ist unsere eigene Religion.“ Doch nicht der Hinweis auf die „eigene“ Religion war es, was Elif dann faszinierte. Vielmehr war es die Zufriedenheit und Glückseligkeit, die ihr Bruder ausstrahlte und sie neugierig machte. „Ja, das war der Moment, wo ich angefangen habe, heimlich die Bücher zu lesen.“ Elif las nicht nur heimlich, sondern musste auch penibel darauf achten, dass ihre Eltern nichts von ihrer eigenen Religiosität mitbekamen. „Wenn ich ins Bad ging, um die rituellen Waschungen für das Gebet vorzubereiten, dann durfte das Wasser nicht zu laut plätschern. Ich musste auch immer einen günstigen Zeitpunkt wählen, damit mein häufiger Gang ins Bad nicht auffiel“, beschreibt Elif die Anfänge ihrer Religiosität und muss über sich lachen.

Denn heute ist sie selbst mit einem türkischen Muslim, der ebenfalls in Deutschland geboren wurde, verheiratet. Kennen gelernt hat sie ihren blondbärtigen Mann per E-Mail. Per elektronische Post wurden auch Lebensweise und -gesinnung abgestimmt. Und weil Elif, die sich als feministische Muslimin definiert, ihren Mann damals ansprach, wird sie von ihm liebevoll als „Mannskerl“ bezeichnet.

Auch Zahide näherte sich in kleinen Schritten ihrer neuen Errungenschaft, die sie erst einmal testen wollte. Schließlich bedeutete auch für sie Islam automatisch Kopftuch und frauenfeindlich. „Ich bin ziemlich eitel und konnte mir mich mit Kopftuch nicht vorstellen. Außerdem fand ich es furchtbar. Ja, und eine Antipathie gegen diese Kopftuchfrauen hatte ich auch“, so Zahide über ihre eigenen Vorurteile. Und was überzeugte sie dann, schon nach drei Monaten das Kopftuch anzulegen? Die vorbehaltlose Akzeptanz ihrer Person: Mit engen Klamotten und in einer riesigen Parfümwolke machte sie sich gemeinsam mit einer marokkanischen Schulfreundin auf den Weg zu einer islamischen Frauengruppe und wollte wissen, wie man auf sie reagieren würde. „Mein Aussehen war den Frauen völlig egal. Keine guckte mich doof an, obwohl ich voll drauf achtete. Da gab es sogar viele ältere Frauen, die deutsch sprachen und trotzdem ein Kopftuch trugen. Dann erfuhr ich, dass viele Frauen auch noch studiert hatten. Ich dachte immer, die sind nur dumm.“ Entscheidend aber war für Zahide, dass die Leiterin dieser arabisch geprägten Frauengruppe sie ansprach und einlud wiederzukommen. Die intensive Beschäftigung mit dem Islam, die religiöse Hingabe samt Gebet hatte begonnen.

Das islamische Sein als neues Bewusstsein versetzte auch Zahides Eltern in einen Schock. Die Stimmung war gereizt, und wenn etwas schief ging, war Zahide der Sündenbock: „Wenn die Butterdose offen stand, dann war es diese komische Kopftuchclique.“ Das religiöse Bekenntnis der Tochter kam einfach zu früh. Später, im Alter, da sei eine gewisse Religiosität normal, argumentierten die Eltern, die aus einem kleinen Dorf aus der Osttürkei stammen und seit drei Jahrzehnten in Deutschland leben.

„Es war schon peinlich genug, dass meine Oma in der Türkei ein Kopftuch trug.“

Über den innerlichen Wandel der Tochter zu reden gehörte sich nicht. Schließlich ist es auch hier, in der kurdisch-aserbaidschanischen Familie, nicht üblich, über innerste Anliegen zu sprechen. Stattdessen versuchte man Zahide zurückzuholen: Sie durfte von nun an auf jede Party. Aber sie wollte nicht. „Meine Familie hat lang gebraucht, um meine Entscheidung zu verstehen, obwohl auch sie glauben, aber locker eben“, erzählt Zahide, die seit einem Jahr ausgezogen ist, grinsend.

Dass sich alte Freunde von ihr abwandten und nichts mehr mit ihr zu tun haben wollten, gehört für sie der Vergangenheit an. Dafür habe habe sie jetzt neue Brüder und Schwestern, denen sie „absolut“ vertrauen könne und die sie bedingungslos als Mensch und Frau akzeptieren. Überhaupt habe sie jetzt erst ihr „Zuhause“ gefunden. Täglich fühle sie sich wohler. In ihrer neuen Gemeinde gebe es keinen Neid wie: „Die hat aber schöne Haare“ oder: „Die hat aber einen tollen Mann geheiratet.“ „Für einen Muslim gelten andere Werte. Ein Muslim würde so nie denken, sondern es als gottgegeben hinnehmen und nicht weiter darüber nachdenken“, ist sie überzeugt.

Zahide und Elif sind solche „Schwestern“. Kennen gelernt haben sich die beiden Frauen über die jeweilige „Islamische Hochschulvereinigung (IHV)“ ihrer Städte. Beide gehören jeweils dem Vorstand an, doch ihre Aktivitäten beschränken sich auf organisatorische Tätigkeiten. Noch reicht ihr Wissen über den Islam nicht aus, um sich stärker einzubinden. Zahide betreibt zwar seit einem Jahr eine gut besuchte eigene islamische Internetseite, auf der sie als eine Art Beraterin für islamische Fragen fungiert. Doch die darf aus Angst vor ihren Eltern nicht genannt werden. „Ich will nicht, dass das Verhältnis zu meinen Eltern beeinträchtigt wird“, rechtfertigt sie sich.

Bei der Auslegung der islamischen Quellen vertrauen sie ihrer Umgebung oder empfohlenen Personen. Islamwissenschaftliche Studien an der Universität kommen nicht in Betracht. Diese seien mit denen der muslimischen Auslegung nicht immer identisch. Auch fehle solchen Studiengängen der eigentliche Anreiz: muslimisch-gläubige Gelehrte. Deshalb widmen sich Elif und Zahide ihren eigenen islamischen Studien, besuchen regelmäßig die Koranexegesen der IHV, wollen den Islam überzeugend leben und ihn nach dem 11. September wieder „ins rechte Licht rücken“.

*Namen geändert