stefan kuzmany über Alltag
: Und dafür zahle ich Tabaksteuer

Großfahndung! Fast jeder wurde kontrolliert. Der Wagen vor mir, der nach mir. Nur ich nicht. War ich zu harmlos?

Sie werden mir das jetzt sicher nicht glauben, aber ich bin noch nie von der Polizei kontrolliert worden. Niemals. Ich bedauere diesen Umstand außerordentlich. So sehr, dass ich neulich extra einige Runden um den Block gefahren bin, nur um kontrolliert zu werden. Nur des Erlebens wegen. Und weil mich daheim eine unangenehme Aufgabe erwartete: Ich musste eine ganze Stoiber-Biografie lesen und rezensieren. Ich hatte also Zeit.

Am Straßenrand standen Polizeibus und Polizeiauto, ein Polizeibeamter winkte willkürlich Autos zu sich, im Polizeibus schwitzte schon ein angehaltener Fahrer angesichts des Alkomaten, ein anderer erklärte sich bei heruntergekurbelter Scheibe einer Polizistin.Verdammt aufregend! Da schien eine umfassende Alkoholkontrolle am Laufen zu sein. Oder eine GROSSFAHNDUNG. Eine Großfahndung nach Personen, die eines schweren Verbrechens verdächtig waren. Bankräuber? Terroristen? Terroristen haben einen Eurotransporter gestohlen?! Mannomannomannomann! Heikle Lage. Faktisch jeder wurde kontrolliert. Der Wagen vor mir. Der Wagen nach mir. Nur ich nicht. War ich denen etwa zu harmlos? Ich konnte es nicht fassen. Bei der dritten Runde fixierte ich den eigentlich für gründliches Herauswinken zuständigen Beamten grimmig und sagte laut und deutlich: „Ich bin gefährlich.“ Mit ausdruckslosem Gesicht ließ mich dieses Sicherheitsrisiko in Uniform gewähren. Und dafür zahlen wir mehr Tabaksteuer? Ich konnte machen, was ich wollte. Sie ließen mich jedes Mal vorbei, immer wieder. Also würde es dabei bleiben: Mein Schicksal war es, auch in Zukunft immer nur schweigend nicken zu dürfen, wenn die anderen in lustiger Runde von ihren wilden Abenteuern bei Polizeikontrollen erzählten. Und was sie nicht alles zu erzählen hatten!

Markus war mal als Handtaschenräuber verdächtigt worden. Zu Unrecht natürlich, aber mit Leibesvisitation und allem Drum und Dran. Andreas hatte mal zu viel getrunken und war angehalten worden, aber der Polizist hatte ihn aus Versehen geduzt. „Da habe ich gesagt, wir sind doch hier nicht beim Kaffeetrinken. Und da hat er mich weiterfahren lassen.“ Stolz war aus seiner Stimme zu hören, der Triumph über den zudringlichen Staatsdiener erhellte sein Gemüt noch heute, Jahre nach dem Vorfall. Marc war mal nach rasanter Motorradfahrt in Österreich auf einen Polizisten getroffen, der aussah wie er selbst. Auch seine Geschichte, wie alle anderen, endete mit den Worten: „Und dann hat er mich wieder fahren lassen.“ Jeder am Tisch kannte längst alle Geschichten, aber trotzdem wurde immer wieder allseits genickt und Interesse geheuchelt. Denn sie alle dachten: Lass den seine Story erst mal erzählen, danach bin ich dran, und meine ist viel besser.

Nur ich hatte keine zu berichten. Weil mir nie so etwas passiert war. Na ja, vielleicht einmal: Es war am Moritzplatz, Berlin-Kreuzberg, ein Kreisverkehr. Ich bin ein gewissenhafter Fahrer, aber leicht von den Tricks anderer zu beeinflussen. Oft hatte mich mein lieber Kollege V. mitgenommen, und der hatte die Angewohnheit, nicht lange zu warten, bis sich alle Wagen vor uns in den Kreisel geschlängelt hatten, sondern schwenkte mit bewundernswerter Unverschämtheit rechts auf die Busspur, überholte so alle, und ruck, zuck waren wir daheim. Bloß ein einziges Mal wollte ich es ihm gleichtun. Ich war verdammt spät dran für eine Verabredung mit einer verdammt schönen Frau. Was soll’s, dachte ich, und zog das Auto nach rechts auf die Busspur. Ich kam keine zwanzig Meter weit, da hörte ich eine energische Stimme aus einem Lautsprecher, offenbar an mich gerichtet: „Was tun Sie da?“, wollte die strenge Stimme wissen, und nach einem gehörigen Schreck ordnete ich mich schnell wieder in die Schlange ein. Ein Blick in den Rückspiegel verstärkte die gerade erlittene Demütigung: Das war gar kein Polizeilautsprecher gewesen, der mich da gemaßregelt hatte, sondern einige Jungs mit einem Megafon. Was für eine Blamage, das konnte ich keinem erzählen, der schon echten Blaulichtern getrotzt hatte.

Um überhaupt etwas zu erzählen, setzte ich eine wichtige Miene auf und begann: „Ich habe ja heute ganz schön Glück gehabt …“ „Ach ja?“, fragte Marc und tat gelangweilt. „Ja, beinahe wäre ich mitten in eine Großfahndung geraten, aber sie haben mich gerade noch durchgelassen!“ „Woher willst du denn wissen, dass es eine Großfahndung war? Hatten Sie MPs dabei?“ Marc wollte es ganz genau wissen, der Arsch. „Nein, hatten sie nicht.“ „Wenn sie keine MPs dabeihatten, war es auch keine Großfahndung“, beschied mich der große Experte. Das Thema war erledigt. Was für ein Reinfall! Hier war nichts mehr zu holen. Ich beendete den Abend zügig und machte mich auf den Heimweg, um mich dort der Stoiber-Rezension zu widmen. Und als ich mich meinem Auto näherte, da bemerkte ich den Grund, warum ich offenbar immun war gegen Kontrollen, warum mich niemand schwerer Verbrechen und übler Umtriebe verdächtigen wollte: In der Windschutzscheibe lag riesig, geradezu aufdringlich, in Vierfarbdruck auf Hardcover das Gesicht des Kanzlerkandidaten der Union und bayerischen Ministerpräsidenten, Edmund Stoiber.

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