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Grundbaukasten Freundschaft
: Erwartungen in Leute, die man noch gar nicht kennt

Am Donnerstag waren wir alle bei den Strokes. Jan meinte, die Band habe ihren Zenit überschritten. Kit fand, das Konzert sei ein Rock-Event-Grundbaukasten gewesen. Ich musste sehr lachen. Am Samstag saßen wir zu zweit in einem Café. Kit sagte: „Ich habe immer das Gefühl, dass andere Leute auch auf jemanden warten.“

Ich musste ein bisschen überlegen, worüber genau sie nun sprechen wollte, dann fragte ich: „Hast du manchmal Erwartungen in Leute, die du noch gar nicht kennst?“

„Ja! Ich sehe immer schon vorher genau alle Szenen der Freundschaft, wie man zusammen einkaufen geht und so weiter. Ich höre einen Namen und stelle mir sofort vor, wie toll alles werden wird: Man versteht sich blendend, und sie hat genau auf mich gewartet.“

„Hm.“

„Dabei haben ja viele Leute schon genug gute Freunde.“

„Die brauchen keine mehr?“

„Nein, vielleicht nicht. Ich könnte immer jemanden brauchen.“

Kit schwieg eine Weile und sah aus dem Fenster, bevor sie weitersprach: „Ich glaube, man bringt die Freundschaften nicht mehr richtig in Gang, wie man es früher tat. Da hat man wirklich gefragt: ‚Möchtest du meine Freundin sein?‘ Das fragt man heute keine mehr. Ich würde mich freuen, wenn mich jemand das fragen würde! Dann wäre doch alles geklärt, das ist wie bei einer Beziehung, da macht man auch aus, dass man zusammen ist, und man weiß, was dazu gehört. Nämlich dass man sich treu ist, höchstwahrscheinlich …“

„Vielleicht.“

„Gut, vielleicht. Dass man füreinander da ist, dass man Sex hat und so. Wenn man sagt, man ist zusammen, dann weiß man, das gehört alles dazu.“

„Schon ein bisschen absurd.“

„Aber wenn man jemanden kennen lernt, mit dem man befreundet sein will, gibt es keine offiziellen Regeln. Obwohl zu einer Freundschaft ähnliche Dinge gehören, wie dass man sich regelmäßig anruft, dass man sich erkundigt, all das. Aber wenn ich eine Frau kennen lerne, die ich nett finde, denke ich gleich, ich bin zu aufdringlich und sie braucht mich gar nicht.“ Sie sprach wieder wie in Trance, und wenn ich antwortete, senkte ich meine Stimme, um sie nicht zu wecken. „Oder man möchte nicht, dass der andere merkt, dass man ihn braucht.“ „Hm. Ja, vielleicht auch das. Aber wenn man sich nett findet, sollte das doch drin sein. Denn, wie viele richtig nette Leute trifft man? Ich finde, es sind wenige.“

„Warum?“

„Die meisten Leute gefallen mir nicht so gut.“

„Haben die zu viereckige Köpfe?“

„Ja, sie sind irgendwie zu langweilig, oder sie kennen schon zu viele andere. – Was ist das?“ Irgendwo klingelte ein Handy, und Kit schaute erschrocken um sich.

„Nur irgendein Handy“, sagte ich. „Also, du hättest lieber jemanden für dich allein?“

„Ja, halt so eine Freundschaft, wie man sie früher hatte. Man hatte eine beste Freundin und vielleicht noch zwei zweitbeste. Und das war’s.“

„Da wurde auch gewechselt, man hat auch miteinander Schluss gemacht, oder?“

„Klar, dann wurde gesagt: ‚Du bist nicht mehr meine beste Freundin‘. Es wurden Listen geführt, die hat man rumgezeigt.“

„Bis in welches Alter?“

„Bis neun oder zehn“, sagte Kit. Sie sah in ihren Milchkaffe und begann, langsam in ihm herumzurühren. Der Kaffee, der Tisch, die Kneipe, das alles und alles, was wir taten, erschien mir auf einmal sehr abstoßend. Allein von Kit ging etwas aus wie ein Versprechen, ein Versprechen eines anderen Lebens, anderswo.

„Lass uns gehen“, sagte Kit und war plötzlich wieder ganz wach. Wir standen auf und legten die Münzen neben die Tassen, so, wie man es anderswo machen würde.

TOBIAS HÜLSWITT