piwik no script img

Der Mann, der aus dem Garten kam

Nach dreimonatigem Gezerre hat das ZDF einen neuen Intendanten. Dass er kaum Zeit zur Einarbeitung hat, macht nichts, denn Markus Schächter ist seit vier Jahren Programmdirektor auf dem Lerchenberg. Sein Versprechen: „Keine Revolution“

„Ich werde nicht die Hierarchie fortsetzen, die es unter Stolte gegeben hat.“

aus Mainz ALEXANDER KÜHN

Manchmal geht es sogar beim ZDF ganz schnell: Um 14.50 Uhr verkündete der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD), der ZDF-Fernsehrat werde nun über einen Kandidaten abstimmen, den er und sein thüringischer Kollege Bernhard Vogel (CDU) gemeinsam vorschlügen: Markus Schächter, den Programmdirektor der Mainzer Anstalt. Damit war alles klar. Eine gute Viertelstunde später stand Schächter bereits vor dem ZDF-Kasino, umringt von blitzlichternden Kameras. Und fünf Minuten später kam auch Fernsehrats-Chef Konrad Kraske mit dem amtlichen Endergebnis: 51 von 67 Fernsehräten hatten mit Ja gestimmt. Eine zügige Wahl, ein Beweis für das Funktionieren der Gremien und der internen Rot-Schwarz-Abstimmung nach Parteiproporz. – Wenn, ja wenn sich dies alles bereits beim ersten Wahlkonklave am 8. Dezember 2001 oder wenigstens beim zweiten Versuch Anfang Januar ereignet hätte.

Doch leider schrieb man auch auf dem Lerchenberg mittlerweile Samstag, den 9. März 2002. Und hatte am Vormittag schon wieder einen Wahlgang ohne Entscheidung hinter sich.Und so wurde Schächter zum Last-Minute-Kompromiss beim zweiten Durchgang, der dem ZDF und seinem Fernsehrat fünf Tage vor dem Abtritt von Langzeitintendant Dieter Stolte wenigstens die Peinlichkeit ersparte, oben ohne dazustehen. ZDF-Justitiar Carl-Eugen Eberle hatte für diesen Fall vorab schon „notstandsähnliche Außnahmesituationen“ beschworen und dafür nachträglich Prügel kassiert. Passiert wäre trotzdem nichts: Die Geschäfte hätte dann nämlich vorerst der Programmdirektor übernommen – eben Markus Schächter.

Seit Herbst stand das ZDF-Eigengewächs (siehe Kasten) schon auf Stoltes Liste der hausinternen Kandidaten. Und weil sich seine Strategie ein bisschen mit dem alten CDU-Slogan „Keine Experimente“ umschreiben lässt, gefällt Schächter auch den mächtigen Besitzstandswahrern beim ZDF. „Keine Programmrevolution“ wird es geben, allerdings regelmäßiges „Programm-Controlling“, erklärte der designierte Intendant nach seiner Wahl. Und: „Ich werde nicht die steile Hierarchie fortsetzen, die es unter Stolte gegeben hat, sondern werde teamorientierter arbeiten. Ich bin ein Kollegenchef.“

Kollege Chef, von dem manche sagen, er sei doch nur Verlegenheitskandidat, saß nun am Samstag aufgeräumt im kompromissfähigen schwarzen Dreiteiler mit rotem Schlips vor der Presse und gab den Mainzelmann: Erst um kurz vor drei habe man ihn ganz überraschend angerufen, in seinem Mainzer Häuschen. „Jetzt konnte ich gar nicht mehr die Arbeit im Garten fortsetzen, die ich heute Vormittag begonnen habe.“ Es musste eben schnell gehen.

Denn als Schächter noch gärtelte, hatten die ersten Promi-Fernsehräte bereits entnervt den Abgang gemacht. FDP-Chef Guido Westerwelle verschwand lautlos und fast unbemerkt. Mit Pauken und Trompeten ging dagegen Sportbund-Präsident Manfred von Richthofen: „Man traut sich ja kaum noch, irgendwo laut zu sagen, dass man auch dazugehört zum Fernsehrat. Dann heißt es gleich: Sie sind auch in diesem Deppenverein?“

Ob Deppenverein oder nicht – das Gremium hat es an diesem Wochenende jedenfalls geschafft, in Sachen Selbstbeschädigung noch eins draufzusetzen. Dass die parteiunabhängigen RätInnen sich am Freitagnachmittag erstmals an einen Tisch gesetzt hatten und gegen den Proporzwahn zu Felde ziehen wollten, war am Tag danach nirgendwo zu spüren. Am Ende zählte wieder nur: Rot oder Schwarz?

Mit dem parteilosen Schächter hat Schwarz nun offiziell gewonnen: „Ich bin vom konservativen Freundeskreis vorgeschlagen worden“, gab der Neue brav zu Protokoll. Ein zweiter „schwarzer“ Kandidat durfte mangels Durchsetzbarkeit gar nicht erst antreten. Eigentlich sollte Manfred Harnischfeger, oberster PR-Chef des Bertelsmann-Konzerns, die Unionsstimmen bündeln. Doch auch einigen unionsnahen Räten war ein Vertreter der größten europäischen Privatfernseh-Familie als neuer öffentlich-rechtlicher Intendant wohl zu suspekt. Da half auch dessen Bekenntnis zu Kostenmanagement nichts. Oder dass der 57-Jährige ein Mann von außen ist – und ganz nebenbei als ehemalige Fraktionssprecher der hessischen CDU seiner Partei nach wie vor verbunden ist .

Die „roten“ RätInnen hatten sich derweil einhellig für ARD-Programmdirektor Günter Struve entscheiden: Weil er aus der öffentlich-rechtlichen Fernsehpraxis kommt, weil er konkrete inhaltliche Vorschläge gemacht hatte. Und weil der ehemalige Redenschreiber von Willy Brandt gut ins rote Weltbild passt.

Weil jedoch klar war, dass die SPD-Nahen keinesfalls für Harnischfeger stimmen würden, wurde dieser am Samstag gar nicht erst ins Rennen geschickt. Man überließ es der Gegenseite, in einer ersten Runde am Vormittag ihren Struve zu verbraten: Nur 33-mal „Ja“, dafür 34 Gegenstimmen und zwei Enthaltungen, das war meilenweit an der vorgeschriebenen Vierfünftelmehrheit vorbei. Und die roten Räte die Gelackmeierten.

Also besannen sich auch die Roten auf Schächter, den „erfolgreichen Programmdirektor“ (Beck). Doch die parteipolitische Blockade ist alles andere als vorbei. Die nächste Frage lautet: Wer beerbt Schächter als Programmdirektor? Der SPD-Favorit Fernsehspielchef Hans Janke? Wie zu hören war, soll auch hier Bernhard Vogel (CDU) das letzte Wort haben. Die „Roten“ fühlen sich völlig über den Tisch gezogen. Und gelernt haben sie alle nichts. Niemand bewies das am Wochenende so dreist wie Fernsehrats-Chef Kraske. Der verkündete, man solle dem Ganzen doch was Positives abgewinnen: „Diesmal haben wir nur fünf Wahlgänge gebraucht. Vor 25 Jahren waren es sieben.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen