„Angst essen auch Verstand auf“

Strafverteidigertag: AnwältInnen werfen Innenminister Schily Aktionismus vor. Warnung vor zu viel Opferschutz

MAINZ taz ■ „Jetzt weht der Wind, jetzt geh’n wir segeln“, „Wo die Fahne weht, ist der Verstand in der Trompete“, „Angst essen nicht nur Seele, Angst essen auch Verstand auf.“ All das wurde gesagt. Auch dass Gelegenheit Diebe mache, hätte bei der Abschlussdiskussion des 26. Strafverteidigertags gestern Vormittag im Kurfürstlichen Schloss in Mainz gesagt werden können. Die Kritik der 450 RechtsanwältInnen an Bundesinnenminister Otto Schily und seinen Sicherheitspaketen war vernichtend.

Dass dessen Vertreter, der Parlamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper, offen eingestand, dass der Dreh- und Angelpunkt der Verschärfung der Sicherheitsgesetze der 11. September 2001 und damit der Anschlag auf das World Trade Center gewesen sei, bestätigte den Verdacht, dass die Legislative die vermeintliche Gunst dieser Stunden genutzt habe, eine Umkehrung der Unschuldsvermutung durchzusetzen und durch flächendeckende Überwachungsmöglichkeiten alle erwachsenen Bürger der Bundesrepublik unter Präventivverdacht zu stellen.

Der Exbundestagsvizepräsident, Burkhard Hirsch, nannte dies „politische Zechprellerei“. Um den Wählern gegenüber „Handlungsfähigkeit“ zu demonstrieren, sei die Bundesregierung auf deren Kosten „auf dem Weg, die Freiheit des einzelnen zu verspielen“, ohne die eine Demokratie nicht lebensfähig sei: „Die Zeche zahlen andere.“

Auch die Ländergesetze zur Rasterfahndung wurden von Podium und Publikum als „völlig sinnlos“ heftig kritisiert. Der Trend, so der Berliner Datenschutzbeauftragte, Hansjürgen Garstka, gehe immer mehr hin zum Überwachungsstaat. Biometrische Merkmale der Menschen in den Ausweisen zu speichern, das sei „die Totalerfassung der Bevölkerung“, die schon „Ende des 19. Jahrhunderts als rechtstaatswidrig“ verworfen worden sei.

In sechs Arbeitsgruppen hatte sich die Strafverteidigervereinigung am Samstag mit aktuellen Rechtsfragen beschäftigt. Sie wandte sich gegen eine Einschränkung der Verteidigerrechte im Strafprozess. Sie begrüßten es grundsätzlich, dass der Verteidigung im geplanten Strafrechtsreformgesetz im Vorfeld mehr Mitwirkung zugestanden werden soll, bemängelten aber, dass dies davon abhängig gemacht werde, dass sie im Gegenzug in der Hauptverhandlung auf grundlegende Rechte verzichten.

Eine einheitliche Meinung zum Thema „Opferschutz“ konnte sie nicht finden. Der Tenor aber ging mehrheitlich dahin, dass dieser die Wahrheitsfindung nicht behindern dürfe. Dass es zum Schutz der Betroffenen zum Beispiel bei Sexualstraftaten nur dem Vorsitzenden Richter vorbehalten bleiben solle, betroffene Zeugen zu befragen, lehnten die Juristen einhellig ab.

Zu Beginn der Veranstaltung hatte der Neuwieder Rechtsanwalt Professor Franz Salditt sich in einem vehementen Vortrag dagegen gewandt, die Unschuldsvermutung zu Ungunsten des Angeklagten für den vermeintlichen Opferschutz aufzugeben. Das behindere die Wahrheitsfindung und damit ein gerechtes Urteil, beschädige das Richteramt, störe deshalb den Rechtsfrieden empfindlich und nütze niemandem: „Dann würden die Opfer dem Opferschutz zum Opfer gebracht.“ Ein Strafprozess sei kein Mediationsprozess. Dass er sich den Opfern „fürsorglich“ zuwende, sei zwar „ein schönes Bild der heilenden Gerichtswelt“, aber nicht deren eigentliche Aufgabe. Die Urteilsfindung dürfe nicht „zu einer Art staatlicher Sozialarbeit“ verkommen. Der Kongress endete mit einer Resolution, die die USA auffordert, auf die Gefangenen des Afghanistankriegs das Genfer Menschenrechtsabkommen anzuwenden. HEIDE PLATEN