Stasi-Schlussstrich?

Kanzler fordert Ende der „Fragebogen-Politik“. SPD will erst im April über Gesetzesänderungen entscheiden

BERLIN taz ■ Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zu den Stasi-Unterlagen Helmut Kohls hat Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) ein generelles Umdenken im Umgang mit dem politischen Erbe der DDR gefordert. Wegen des Grundsatzes der Gleichbehandlung könne es nicht angehen, dass der im Osten Aufgewachsene „im Zweifel anhand der Stasi-Akten belegen muss, dass er kein ‚Täter‘ war, während der geborene Westdeutsche diesbezüglich nur ‚Opfer‘ war“, sagte Schröder gestern.

Der Kanzler, wegen der Stasi-Kontakte einer seiner Cousinen in Thüringen mit dem Thema familiär bestens vertraut, fügte hinzu, man müsse „vorurteilsfrei“ die Frage stellen, ob „beim kleinen Mann die Personalfragebogen-Politik“ fortgeführt werden sollte. „Wie lange soll bei Personalentscheidungen die Vergangenheit der Ostdeutschen minutiös durchleuchtet werden, während westdeutsche Bewerber immer mit weißer Weste dastehen dürfen?“

Auch in der Sitzung des SPD-Präsidiums wurde gestern über das Thema diskutiert. Generalsekretär Franz Müntefering fasste zusammen: In der Praxis der Überprüfungen dürfe nicht der Eindruck entstehen, als müssten die Ostdeutschen ständig ihre Unschuld beweisen und stünden unter permanentem Täterverdacht, während die Westdeutschen dagegen automatisch als unschuldig gelten würden.

Was eine Novellierung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes betrifft, hätte es im Parteipräsidium, so Müntefering, keine abschließende Meinungsbildung gegeben. Zahlreiche BürgerrechtlerInnen und die Grünen hatten nach dem Kohl-Urteil Gesetzesänderungen gefordert, um auch in Zukunft die Herausgabe von Stasiakten Prominenter zu ermöglichen.

Schröder sagte in der Leipziger Volkszeitung, man müsse das Urteil des Gerichts „respektieren“. Diese Äußerung wurde von mehreren Nachrichtenagenturen gestern etwas vorschnell als Absage des Kanzlers an Gesetzesänderungen interpretiert. Ein Sprecher des Bundeskanzleramts sagte der taz, der Kanzler wolle den Beratungen des Bundestags keineswegs vorgreifen. Auch der innenpolitische Sprecher der SPD, Dieter Wiefelspütz, verwies auf die Expertenanhörung im Innenausschuss am 25. April. Erst danach werde die Koalition entscheiden, ob „Präzisierungen“ im Stasi-Unterlagen-Gesetz notwendig seien.

PDS-Chefin Gabi Zimmer kommentierte Schröders Äußerungen zur Ungleichbehandlung der Ostdeutschen ungewohnt trocken: „Ich freue mich über den Erkenntniszuwachs des Bundeskanzlers wenige Monate vor der Bundestagswahl.“

JENS KÖNIG/LUKAS WALLRAFF

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