Auf dem Pharmastrich von SmithKline

Gegen 4.000 deutsche Ärzte wurde wegen Bestechlichkeit ermittelt. Die Debatte über ihre Standesethik tobt

BERLIN taz ■ „Pharmastrich“ nennt man es gemeinhin, wenn Menschen sich gegen Geld der Pharmaindustrie für wissenschaftliche Exprimente zur Verfügung stellen.

Unter Ärzten allerdings heißt „Ich gehe auf den Pharmastrich“, wenn sie von der Pharmaindustrie zu einer reizvollen Reise, zum Beispiel nach Rhodos, eingeladen werden. Dort verbringen sie drei Tage in einem erstklassigen Hotel und hören sich sogar einige Vorträge über ein neues Krebsmittel an. Erst im Februar fanden sich genügend deutsche Klinikchefs und Oberärzte, um zwei Chartermaschinen für ein solches „Einführungssymposium“ der Firma Bristol-Myers-Squibb zu füllen.

Seit Oktober 1999 ermittelt die Staatsanwaltschaft München gegen hunderte Mitarbeiter der Pharmafirma SmithKline Beecham wegen Bestechung. Sie sollen von 1997 bis 1999 Klinikärzten Reisen, „teilweise mit Begleitpersonen“, bezahlt und sie mit Büchern, Computern und Zuwendungen aller Art ausgestattet haben, ohne dass es eine „entsprechende Gegenleistung“ gegeben habe. Bei den Reisen habe es sich zum Beispiel um den Besuch des Endspiels der Fußballweltmeisterschaft gehandelt. Insgesamt wurde bislang gegen 3.500 Klinikärzte ermittelt, 500 weitere habe man auf der Liste. Wegen Geringfügigkeit wurde über die Hälfte der Verfahren wieder eingestellt.

Seitdem diese Nachricht zu Wochenbeginn dank einer Indiskretion der beteiligten nordrhein-westfälischen Staatsanwaltschaft aufflog, ist GlaxoSmithKline damit beschäftigt, zu erklären, dass man als neu fusioniertes Unternehmen mit den Praktiken von SmithKline Beecham nichts zu tun habe. Natürlich aber sei man auch für „rückhaltlose Aufklärung“. Ärztepräsident Jörg-Dietrich Hoppe warnte gestern vor voreiligen Urteilen, kritisierte aber auch die Bereitschaft vieler Ärzte, teure Geschenke der Pharmaindustrie anzunehmen.

Grundsätzlich haben sich Industrie und Ärzte verpflichtet, ärztliche Entscheidungen frei von wirtschaftlichen Interessen zu halten. Im Oktober 2000 wurde ein entsprechender „gemeinsamer Standpunkt“ verabschiedet, wonach jeder Arzt, der an einer Fortbildung der Pharmaindustrie teilnehmen möchte, eine Erlaubnis sowohl seines Chefarztes als auch des Krankenhausträgers braucht.

Das Problem: Weder die Klinikchefs noch die Träger schauen bei der Genehmigung genau genug hin. „Wer mitfährt, glaubt von sich, er sei nicht bestechlich“, sagte gestern Wolf-Dieter Ludwig vom Vorstand der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft zur taz. Es gebe jedoch genug Studien aus den USA, in denen ein Einfluss der Pharmaindustrie auf Ärzte eindeutig belegt werde. An seiner Klinik habe er deshalb als Chefarzt alle Reisen auf Kosten der Pharmaunternehmen „schlicht verboten“.

Deutschland sei jedoch, was das Bewusstsein über den Interessenkonflikt zwischen Ärzten und Industrie angeht, noch ein „Entwicklungsland“. Das Problem, so Ludwig, „ist, dass der Forschungsbetrieb ohne die Zuwendungen der Industrie nicht mehr auskommt. Man erreicht doch keinen wissenschaftlichen Kongress mehr, ohne erst durch die Pharmahallen zu laufen.“

ULRIKE WINKELMANN