Kampf um die „Befreite Zone“ am Antalya Grill

In den Prozess gegen die türkische Familie, die mehrere Rechte verletzt hat, wird nun Material über die „Skinheads Sächsische Schweiz“ einbezogen

PIRNA taz ■ Von seiner sichersten Seite präsentierte sich das Amtsgericht Pirna gestern zum Prozessbeginn gegen die fünfköpfige türkische Familie Sendilmen, Betreiber des Antalya Grills in Pirna – bewaffnete Polizisten bewachen im Dutzend den Eingang. Gedränge dann im Saal: Unter den rund 60 Zuschauern stellen JournalistInnen ein gutes Drittel. Der Rest kommt aus Pirna und ist geteilter Meinung. „Für mich sind die Sendilmens mutige Leute“, sagt ein Buchhändler aus der Nachbarschaft des Antalya Grills, der die Angst seiner Nachbarn vor den Neonazis versteht. Eine Gruppe älterer Damen hält es dagegen mit der Staatsanwaltschaft. „Die Familie hat bestimmt etwas zu verbergen“, sagt eine Rentnerin.

Den Geschwistern Selda (21), Süleyman (23) und Recep Sendilmen (25) und ihren Eltern Keziban (48) und Adem (51) werden acht Fälle von gefährlicher gemeinschaftlicher Körperverletzung vorgeworfen. Bewaffnet mit Dönermessern, Elektroschockern oder Baseballschlägern soll die Familie zwischen Februar 2000 und Januar 2001 auf Rechte losgegangen sein, die sich vor dem Antalya Grill trafen.

Was sie dort taten, stellt sich nicht nur aus Sicht der Prozessbeteiligten sehr unterschiedlich dar. In der Verbotsverfügung des sächsischen Innenministeriums für die Neonaziorganisation „Skinheads Sächsische Schweiz“ (SSS) heißt es, dass deren Mitglieder regelmäßig gegen den Antalya Grill vorgingen, um getreu dem rechtsextremen Konzept „Befreite Zonen schaffen“, die Sächsische Schweiz von „Zecken“, „Kiffern“ und Ausländern zu säubern. Zitiert wird hier ein internes Schreiben der SSS, wonach „davon ausgegangen werden muss, dass sich in den Räumen über dem Geschäft [der Familie Sendilmen, Anm. d. R.] regelmäßig linke Gewalttäter treffen. (…) Über Lösungen des Problems durch Söldner sollte nachgedacht werden.“

Dass die SSS ihre Aktionen akribisch plante, machte Verteidiger Stefan Schrage an einem weiteren Beispiel deutlich. Bei Thomas R., einem der neun SSS-Aktivisten, die die Staatsanwaltschaft als Opfer der Sendilmens und Zeugen der Anklage präsentiert, fand sich ein dicker Ordner mit steckbriefartigen Informationen über Ausländer und Linke aus der Region, mit denen die Hetzjagden vorbereitet wurden. Zur SSS-Routine gehörte es auch, sich danach durch fingierte Alibis gegenseitig zu decken.

Thomas R. muss sich demnächst gemeinsam mit 19 anderen mutmaßlichen Mitgliedern der SSS – darunter drei weiteren „Zeugen“ gegen die Sendilmens – vor dem Landgericht Dresden wegen „Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung“ verantworten. Grund genug für das komplett aus Berlin angereiste Verteidigerteam der Familie, sowohl Staatsanwaltschaft als auch Amtsrichter Jürgen Uhlig vorzuwerfen, das Verfahren bislang „voreingenommen“ und „mit einer Blindheit auf dem rechten Auge“ geführt zu haben. Denn die hätten der Familie Sendilmen am liebsten an einem einzigen Tag den Prozess gemacht. Daraus wird nun erst mal nichts. Nach zwei Stunden verschob Richter Uhlig den Prozess auf unbestimmt und gab damit den Anträgen der Verteidigung statt, den „Komplex SSS“ ins Verfahren einzubeziehen. Zuvor hatte die Staatsanwaltschaft dies mit der Begründung abgelehnt, die SSS hätte „nur nebenbei“ Ausländer angegriffen, aber keineswegs in organisierter Form. „Wenn wir zur Beweisaufnahme kommen, müssen wir auch über die Söhne Pirnas, Fremdenfeindlichkeit und voreingenommene Polizeiarbeit sprechen“, hatte Christina Klemm, Selda Sendilmens Anwältin, angekündigt. „Und über Angst und das Recht, sich zu verteidigen, wenn niemand anderes einen schützt.“ Die erste Runde im Prozess der Sendilmens ging gestern an sie. HEIKE KLEFFNER