Trends von heute, Versprechungen von gestern


von JENS UEHLECKE

Alljährlich kommen Unternehmen aus aller Welt in Hannover zusammen, um Versprechungen zu machen. Anlass ist die Cebit, die weltgrößte Messe für Informations- und Kommunikationstechnik. So auch in diesem Jahr: Von heute bis nächsten Mittwoch zeigen rund 8.000 Aussteller ihre Produkte aus der Welt der Bits und Bytes. Doch was heute als Trend vorgestellt wird, erweist sich nicht selten als ein leeres Versprechen aus vergangenen Jahren.

Beispiel 1: Powerline

„Das Potenzial für Powerline Communication ist angesichts von 180 Millionen Haushalten in der Europäischen Union riesig“, schwärmte RWE-Chef Manfred Remmel schon anlässlich der Cebit 1999. Dank der neuen mit dem Hardwarehersteller Ascom gemeinsam entwickelten Technologie werde es bald für jedermann möglich, mit 20-facher ISDN-Geschwindigkeit durchs Internet zu brausen – und zwar über herkömmliche Stromleitungen. Der Clou: Es gibt kaum einen Haushalt, der nicht schon ans Stromnetz angeschlossen ist – es müssen also weder neue Leitungen verbuddelt noch Wände aufgeschlagen werden. Außerdem seien die Stromkonzerne nicht auf die „letzte Meile“ des Telefonnetzes angewiesen und könnten deshalb zur ernsthaften Konkurrenz für Telefongesellschaften werden, frohlockte Remmel damals. Schließlich versprach er einen „ungeheuren Dienstleistungsmehrwert“, da sich via Powerline Communication (PLC) theoretisch jedes elektrische Gerät ans Internet anschließen und fern steuern ließe – vom Kühlschrank bis zur Mikrowelle.

Im letzten Jahr gab RWE dann endlich den Startschuss für die neue Technologie, bis Ende 2001 wollte der Essener Energieversorger 20.000 Kunden ans Netz der Netze angeschlossen haben. Doch es kam anders: Bislang sind erst 1.500 Kunden via PLC online, rund 10.000 Interessenten warten noch vergeblich. Zum Vergleich: Seit 1999 wurden über zwei Millionen DSL-Internet-Anschlüsse in Deutschland freigeschaltet.

Schuld an der PLC-Misere sind laut Firmenangaben vor allem technische Probleme: Eine ganze Serie von Stromleitungsmodems erwies sich als unzuverlässig und das Umrüsten der Transformatorenhäuschen als sehr aufwändig. Grund genug für andere Unternehmen, sich ganz von dem Vorhaben Internet via Stromleitung zu verabschieden, darunter etwa die Energieversorger Eon und Bewag sowie die Hardwarehersteller Siemens, Nortel und United Utilities.

Powerline Center: Halle 12, Stand C30

Beispiel 2: Digitale Unterschrift

Die elektronische Signatur steht schon lange ganz oben auf der Wunschliste all jener, die im Internet Handel treiben oder Verträge schließen wollen. Kein Wunder, bringt die digitale Unterschrift doch die lang vermisste Rechtsverbindlichkeit in die schöne neue Online-Welt. Denn elektronische Dokumente und E-Mails, die mit einem Autogramm aus Bits und Bytes unterzeichnet sind, werden mittlerweile von jedem deutschen Gericht als rechtsverbindlich anerkannt. Dabei benötigen Internet-Surfer zum virtuellen Unterschreiben lediglich eine Chipkarte, auf der ihre individuelle Signatur gespeichert ist, sowie ein passendes Kartenlesegerät zum Auslesen der E-Unterschrift.

Allerdings machen die elektronischen Signaturen erst dann wirklich Sinn, wenn sie von einer großen Zahl von Internet-Surfern eingesetzt werden. Deshalb wurden die Anbieter, darunter etwa die Deutsche Telekom und die Post-Tochter Signtrust, in den letzten drei Jahren nicht müde, anlässlich der Cebit die Vorteile der digitalen Unterschriften zu beschwören und ihnen einen schnellen Durchbruch vorauszusagen. Doch in der Realität begeistert sich bislang kaum jemand dafür. Gerade einmal einige tausend Signaturkarten sind bis dato schätzungsweise ausgegeben worden – über genaue Zahlen schweigen sich die Anbieter wegen ihrer mageren Ausbeute verständlicherweise aus.

Die Gründe für das mangelnde Interesse: Zum einen kostet ein Startset mit Chipkarte und Lesegerät noch immer mindestens rund 60 Euro, zum anderen ist die Installation der notwendigen Software kompliziert und zeitaufwändig. Selbst in Bremen, wo seit zwei Jahren im Rahmen eines Pilotprojektes Karte und Leser hoch subventioniert werden und eine Hotline vorbildliche Hilfestellung leistet, interessieren sich die Bürger nicht für die Netz-Unterschriften. Von dem vorhandenen Kontingent von 10.000 bezuschussten Karten konnte die verantwortliche Bremen Online Services GmbH bis heute erst 1.700 unter die Leute bringen.

Telekom: Halle 26, Stand A01

Signtrust: Halle 1, Stand 7f12

Bremen Online: Halle 11, Stand F26

Beispiel 3: UMTS

Mit einer Höchstgeschwindigkeit von bis zu zwei Millionen Zeichen – zwei Megabit – pro Sekunde werde man im Sommer 2002 mit seinem Handy durchs Internet surfen können, prophezeiten T-Mobile, Mobilcom und Vodafone noch vor zwei Jahren auf der Cebit – dann sei die UMTS-Vision endlich Wirklichkeit.

Doch heute wollen die Mobilfunk-Konzerne von diesen Versprechungen nichts mehr wissen. Gerade einmal zwischen 144.000 und 384.000 Zeichen pro Sekunde soll das Tempolimit beim Start der UMTS-Netze jetzt liegen. Und an dem Einführungsdatum will auch kaum noch ein Netzbetreiber festhalten: T-Mobile etwa hat den Start gerade erneut von Anfang auf Mitte 2003 verschoben. Mobilcom will seine UMTS-Masten zumindest Ende des Jahres in Betrieb nehmen. Allerdings könnte der schwelende Streit mit Partner France Telecom auch diesen Zeitplan zunichte machen. Auf ein oder zwei Monate komme es sowieso nicht an, heißt es daher jetzt vorsichtig aus der Büdelsdorfer Zentrale. Es gehe schließlich nur darum, ein gutes Produkt auf den Markt zu bringen.

Dass überhaupt kein Zeitdruck herrscht, ist derweil kaum zu glauben. Nachdem die Netzbetreiber im August 2000 bei der deutschen UMTS-Auktion insgesamt rund 8,4 Milliarden Euro für die Lizenzen berappen mussten, drücken sie jetzt Schuldenberge. Und die wachsen mit jeder Woche, in der die UMTS-Netze noch nicht in Betrieb sind, um ein einige Millionen Euro Zinsen.

Auch die Hersteller von UMTS-Handys hängen hinter ihren einst angekündigten Zeitplänen her. Siemens wird erst 2003 in die Massenproduktion gehen, Nokia will UMTS-Endgeräte in größeren Stückzahlen immerhin schon im vierten Quartal 2002 auf den Markt bringen. Wann die Mobiltelefone der nächsten Generation in den Regalen liegen, bleibt indes abzuwarten. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Einführung einer neuen Mobilfunk-Technologie an der mangelnden Verfügbarkeit von passenden Endgeräten scheitert.

Da ist es doch tröstlich, dass derzeit auch die Nachfrage nach UMTS hinter den Hoffnungen der Netzbetreiber zurückbleibt. Zwei von drei Handy-Besitzern nehmen es den Mobilfunk-Gesellschaften und Handy-Herstellern nicht übel, dass sie ihre Versprechen nicht halten können. Sie denken laut einer Studie von Mummert & Partner nicht einmal daran, in naher Zukunft auf UMTS umzusteigen.

T-Mobile Halle 26, Stand A01

Mobilcom Halle 12, Stand C06

Siemens Halle 26, Stand A31

Nokia Hall 26, Stand E68

Beispiel 4: Biometrie

Schon auf der Cebit vor vier Jahren stellte Siemens den so genannten „Fingertip“-Sensor vor, mit dessen Hilfe Fingerabdrücke elektronisch erfasst werden können. Gedacht war er für den Einsatz in so genannten biometrischen Systemen. Diese bauen auf der Annahme auf, dass jeder Mensch über individuelle Körpermerkmale verfügt, die ihn eindeutig identifizieren, etwa die Stimme, die Netzhaut oder eben der Fingerabdruck.

Damals träumte Siemens noch davon, dass der 50 US-Dollar teure Sensor bald überall dort eingesetzt würde, wo sonst Geheimzahlen und Passwörter Daten oder Zugänge schützen – an gesicherten Eingängen oder Geldautomaten zum Beispiel. Doch aus den kühnen Träumen wurde nichts. Nach wie vor führen biometrische Systeme ein Randdasein, der große Durchbruch blieb aus.

Zuletzt prüfte die Sparkassenorganisation in einem groß angelegten Pilotprojekt, ob biometrische Verfahren die Eingabe der Geheimzahl an Geldautomaten ersetzen könnten. Das Ergebnis ist niederschmetternd: „Optimistisch geschätzt“, stellte Christoph Thiel, Referent in der Sicherheitskompetenzabteilung des Informatikzentrums der Sparkassenorganisation, im letzten Monat fest, „ist mit einem flächendeckenden Einsatz der Biometrie an Geldautomaten in den nächsten zehn Jahren nicht zu rechnen.“ Zahlreiche Feldversuche hätten gezeigt, dass die Fehlerraten marktgängiger Systeme trotz jahrlanger Forschung und Entwicklung nach wie vor zwischen zwei und 20 Prozent liegen. Zudem gebe es in den derzeit angebotenen Hard- und Software-Lösungen noch zu viele Sicherheitslücken, die Hackerherzen höher schlagen ließen.

Siemens: Halle 17, Stand F12

Giesecke & Devrient: Halle 17, E32

Bundesdruckerei: Halle 17, Stand E56.