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Sympathisch unaufgeregt

Country singender Ex-Briefträger: St. Thomas in der Tanzhalle  ■ Von Nicole Paul

Der letzte Job, den Thomas Hansen hatte, bevor er von seiner Musik leben konnte, war der eines Postboten. Und obwohl er nur acht Monate lang Briefe austrug, ist er seitdem der Country singende Postbote aus Norwegen. Anfangen hat die Geschichte des St. Thomas alias Thomas Hansen aus Oslo folgendermaßen: Mit 20 hat er zunächst mal keinen Plan, was er aus seinem Leben machen soll. Weder beim Studium, Theaterwissenschaften und Geschichte, noch beim zwischenzeitlichen Nichtstun findet er Erfüllung – und auch nicht als Postbote. Mit 22 lernt er Gitarre spielen und beginnt, Lieder zu schreiben.

In Bergen, jener Stadt an der norwegischen Südwest-Küste mit ausgeprägter Musik-Szene, gründet Hansen dann seine erste Band Emily Lang, doch schon bald entdeckt er seine Vorliebe für das Alleinmusizieren. Er beginnt solo aufzutreten, und das entspricht seinem Naturell als eigenwillig-kreativer Kopf mit hohem Output – „Ich bin ein mäßiger Gitarrist, aber ein sehr guter Songwriter. In den letzten fünf Wochen habe ich 20 neue Lieder geschrieben.“ – weitaus besser. Von nun an nennt er sich St. Thomas. Schließlich fängt er an, wechselnde Gastmusiker für seine individuellen, unterhaltsamen und oft etwas obskuren Auftritte zu gewinnen, aus St. Thomas wird St. Thomas And The Magic Club. Der ganz große Durchbruch in der Heimat kommt dann mit dem zweiten Album, dem ersten auch hierzulande erschienenen: I'm Coming Home schafft es zum allseitigen Erstaunen bis auf Platz sechs der norwegischen Charts. Vor allem die Single-Auskopplung „Cornerman“ wird dank regelmäßigen Radioeinsatzes zu einem veritablen Hit.

Der heutige St. Thomas sagt: „Früher war ich sehr schüchtern, in der Schule habe ich nie ein Wort rausbekommen. Heute ist es das Größte für mich, auf der Bühne zu stehen und zu sagen, was ich denke. Da kann ich eine totale Energie rüberbringen.“ Seine „Was fange ich mit meinem Leben an?“-Krise scheint erst mal überwunden.

Und wieso macht nun eigentlich ein Norweger Country-Musik? „Ich weiß nicht. Ich glaube, das ist einfach natürlich für mich“, meint der Künstler ganz lapidar. Natürlichkeit und Ehrlichkeit sind wichtige Stichworte in St. Thomas' musikalischem Universum. „Ich will kein künstliches Image. City Slang (St. Thomas' Label in Deutschland, d. A.) würde gerne den Cowboy aus mir machen, aber nicht wirklich ernsthaft. Ich will eigentlich nur ich selbst sein.“ Und das glaubt man ihm tatsächlich. Wenn Musik-journalisten sich den Kopf über Norwegenhypes, Genres und Images zerbrechen wollen, so sollen sie das tun. St. Thomas hält das für künstlich und überzogen.

Dass sein „Cornerman“ daheim zum Hit und er zu einem kleinen Star wurde, auf dessen Konzerten plötzlich reihenweise Teenies auftauchten, erklärt er ebenfalls symphatisch-unaufgeregt: „Das war einfach nur Glück. Dass P3 (kommerzieller, aber ambitionierter, besonders für jüngere Hörer wichtiger Radiosender in Norwegen, d. A.) das Stück sehr viel spielte, hat natürlich dazu beigetragen. Aber ach, die Leute sind einfach nicht mehr an ehrliche altmodische Musik gewöhnt...“

Seine Stimme wird immer wieder mit der von Neil Young verglichen, er selbst gibt Palace und Elliott Smith als wichtigere Einflüsse an. Und gesteht seine Liebe zur gefühlvollen Melodie. „Eine schöne Melodie, das war immer das Wichtigste für mich. Eine Melodie, die mich zum Weinen bringt.“ Und dafür hat er wirklich ein Händchen: Lieder mit wunderschönen, auch eingängigen Gesangslinien, die auf der Platte meist mehrstimmig interpretiert werden, was dann noch schöner klingt. Der Eindruck, St. Thomas sei nur etwas für gefühlsseelige Countryfans, wäre jedoch ein falscher: Dafür ist seine Stimme zu überspannt, sind die Texte zu klischeebeladen, ist die Instrumentierung zu low-fi und rustikal. St. Thomas klingt wie eine Country-Persiflage, mit Liebe zum Original aber auch mit Spaß an Klamauk und kleinen Absonderlichkeiten. Auf der nun angelaufenen Europa-Tournee hat er seine norwegische Backing-Band dabei, „alles seltsame Typen, alles irgendwie Außenseiter“. Tatsächlich erinnern sie eher an Figuren aus Herr der Ringe als an Popstars. Die zweite Hälfte der Tour ist St. Thomas, dann mit nur noch einem weiteren Bandkollegen, als Vorgruppe von Lambchop unterwegs, einer Band, die er ebenfalls schätzt. Befragt nach seinen weiteren Plänen sagt er: „Mark Nevers, der Produzent von Lambchop, will meine nächste Platte produzieren. Und außerdem hoffe ich, dass ich nie mehr normale Jobs machen muss.“

Donnerstag, 18 Uhr, Michelle Records; 21 Uhr, Tanzhalle (mit Heinz-Werner-Hörnig-Sextett und Kitty Solaris)

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