Frischluftresistente Dauerbrenner

■ Nicht echt, aber so echt wie möglich nachgemacht: Das Staatsarchiv zeigt Faksimiles mittelalterlicher Prachtbücher

Echt sind sie nicht, alles nur Kopien. Alt sind sie in der Regel auch nicht – mit ihren paar Jahren oder Jahrzehnten auf dem Buckel. Aber trotzdem sind es wahre Schätze der Buchkunst: die 27 aufwändigen Einzel-Nachfertigungen mittelalterlicher Handschriften, die jetzt im Staatsarchiv ausgestellt werden. Über die Faksimiles („Mach ähnlich“) der letzten Jahre lässt sich von „den gemalten mittelalterlichen Büchern“ etwas erhaschen, was es sonst schon lange nicht mehr gibt: Einen Eindruck vom Original.

Denn die echten Prachtbücher sind aus Schutz vor zu vielen Betrachtern und der damit unvermeidlichen Frischluftzufuhr in Tresoren verschlossen. Ihre gold-bunten Heiligenbilder und reichen Text-ausschmückungen würden sonst vom Sauerstoff zerfressen. „Die Brüder aus Echternach zum Beispiel haben damals mit Farben gearbeitet, die schlecht zu konservieren sind“, stöhnt Organisator Konrad Elmhäuser. Und auch die fast tausend Jahre alten Pergamentbögen drohen sich langsam in Staub aufzulösen. „Selbst der noch so fleißige Sucher würde die Vorlagen all dieser Faksimiles niemals mehr zu Gesicht kriegen“, meint Elmshäuser.

Also muss man mit den Kopien der Prachtbücher Vorlieb nehmen – als Eintritt in ein Reich, in dem Buchstaben noch selten und kostbar waren. Im frühen und hohen Mittelalter, als die Produktion eines Buches noch Jahre brauchte, als sich mehrere Mönche an den aufwendigen bunt und goldenen Zeichnungen die Rücken krumm malten, während der Großteil der Bevölkerung nicht lesen konnte. „Nur ganz wenige haben im Mittelalter einmal im Leben überhaupt ein Buch aufschlagen können.“

Heute entdeckt man Unmengen von kleinen Wunderlichkeiten in diesen Prachtbilderbüchern. Auch Löcher beispielsweise. Denn damals kritzelten die Mönche auf Kalbsleder. Oder besser: auf zu Pergament gegerbtem Leder. Nur hatten die Kälber manchmal „ein Loch im Bauch oder andere Verletzungen“, erzählt Elmshäuser. Und wenn schon das Original Lücken hat, muss das Faksimile orginalgetreu ebenfalls ein Loch kriegen.

So sind die Kopien der Handschriften eigentlich schon eine Kunst an sich. Bis zu 24.000 Euro kosten die Anfertigungen eines Faksimiles. Eine Hand voll Verlage hat sich auf die Produktion solcher Sammlerstücke und Forschungsexemplare konzentriert. „Früher konnte man mit fünf Meter Abstand sehen, dass das eine Reproduktion war“, sagt Elmshäuser. Da wurde das Original einfach abfotografiert. Heute muss man schon dichter ran gehen, um das Original vom Faksimile zu unterscheiden. Computerrasterverfahren machen es möglich.

Das Lonscher Evangeliar beispielsweise existiert heute nur noch als Faksimile. Das Original wurde unter drei Bibliotheken in Ungarn, London und dem Vatikan aufgeteilt, während die Elfenbein-Scherben vom Einband im Pariser Louvre liegen. An Zusammenführung sei da gar nicht zu denken, sagt Elmshäuser.

Für den Historiker sind die Faksimiles so etwas ein „liebenswert altmodisches Angebot“ in einer immer virtueller werdenden Welt. Den CD-ROMs stellt Elmshäuser das aufwendige nachgeschmückte Buch entgegen, das bislang hauptsächlich für Bibliotheken und Geschichtsstudenten produziert wurde – als „goldene Spitze“ des Archivs. Jetzt hofft Elmshäuser auch auf allgemeines Publikumsinteresse: „Wenn Sie diese Schätze sehen und kennen, wird der Wert der Schriftstücke deutlich“, hofft Elmshäuser. Schließlich schwimmen Archive nicht gerade im Geld, und die Restaurierung selbst einfacher Originale für die Nachwelt ist oft nicht mehr finanzierbar. „Am billigsten ist es natürlich, die Sachen verfallen zu lassen“, klagt Elmshäuser, der mit den aufwendigen Faksimiles gern mehr Verständnis für historisch eingesetzte Steuergelder wecken will.

Der Großteil der gezeigten Stücke stammt von einem privaten Sammler, der sie zuvor im Historischen Museum Verden ausgestellt hatte. Ergänzt wurden sie jetzt durch neun Faksimiles der Staats- und Universitätsbibliothek Bremen. Anfassen allerdings darf man auch die Kopien nicht. Im Staatsarchiv sind sie in Vitrinen fest verschlossen. Aber weil man bei Büchern immer nur eine Doppelseite zeigen kann, soll alle zwei Wochen umgeblättert werden. Dorothee Krumpipe

„Das gemalte mittelalterliche Buch – berühmte Bücher in Prachtfaksimiles aus unserer Zeit“, im Staatsarchiv, Öffnungszeiten: Di und Mi von 9 bis 16 Uhr, Do von 9 bis 20 Uhr und Fr von 9 bis 15 Uhr.