piwik no script img

Gipfel im Hochsicherheitstrakt

Heute beginnt in Barcelona ein Gipfeltreffen der EU. Das Terrain ist bestens präpariert. Zu Ausschreitungen wie in Genua will es Spaniens Regierung nicht kommen lassen

MADRID taz ■ „Welcome“ und „Capital de Catalunya“ steht auf den Fähnchen, die anlässlich des EU-Gipfels am kommenden Wochenende überall in Barcelona aufgehängt wurden. Doch nur wenige derer, die Bürgermeister und Autonomieregierung so begrüßen wollen, werden von der Hauptstadt der Nordostregion Spaniens etwas zu sehen bekommen. Die hohen Gäste und die Presse sitzen von heute bis Samstag hinter Absperrwänden. Im Hochsicherheitsbereich im Norden der Stadt befinden sich die wichtigsten Hotels, das Kongresszentrum – in dem die EU-Regierungschefs und die der 13 Beitrittskandidaten mit ihren Außenministern tagen – und das riesige Pressezelt.

Anreisendes Fußvolk kommt unter Umständen nie in Barcelona an. Spanien hat einseitig das Schengen-Abkommen ausgesetzt. Seit dem Samstag sind an den Grenzen entlang der Pyrenäen wieder Guardia Civil aufgezogen. Wer die Grenzkontrolle übersteht, wird im Verkehrschaos enden. Experten befürchten dank der Sperrung einer der wichtigsten Achsen Barcelonas Staus von bis zu 100 Kilometern.

„Perfekte Sicherheit“ heißt das oberste Gebot. Barcelonas Abwasserkanäle werden nach Bomben durchsucht, die Hotelküchen überwacht, die Stadt per Hubschrauber kontrolliert. Spaniens Polizei weiß nicht erst seit dem 11. September um die Gefahr von Attentaten. Die baskische Separatistenorganisation ETA hat öfter auch in Barcelona zugeschlagen. 8.500 Polizisten aus ganz Spanien sollen zudem verhindern, dass Globalisierungsgegner den Sozial- und Wirtschaftsgipfel der EU stören.

Für heute haben sich Zehntausende von Gewerkschaftern aus der gesamten Union angekündigt. „Mehr Europa“ lautet das Motto, mit dem sie verlangen, dass soziale Aspekte bei der Liberalisierung und Angleichung der Wirtschaft nicht vergessen werden. Am Freitag und Samstag erobern die Globalisierungsgegner rund um Attac die Straßen. Eine Großdemonstration und dezentrale Aktionen sollen zeigen, „was für ein Europa die Eingeschlossenen planen“. Den Abschluss bildet ein Konzert, auf dem unter anderem Manu Chao gegen die Ungerechtigkeit der weltweiten Ordnung singen wird.

Ausschreitungen wie in Genua soll es keine geben. Die örtlichen Veranstalter der Proteste haben sich vorher mit den Sicherheitskräften zusammengesetzt. Das Veranstaltungsbündnis verzichtet darauf, das Tagungsgelände einnehmen zu wollen. 50.000 Teilnehmer werden erwartet. Am meisten Kopfzerbrechen machen der Polizei radikale Basken und deutsche Autonome. Anders als in Genua werden die Auswärtigen nicht in besetzten Häusern wohnen. Das hat die Versammlung der „okupas“ beschlossen. Falls es doch zu Zwischenfällen mit der Polizei kommt, soll so verhindert werden, dass wie in Genua die Besetzer kriminalisiert und die 90 besetzten Häuser in Barcelona geräumt werden.

Derart hermetisch abgeschirmt, will die spanische Regierung in ihrer EU-Präsidentschaft mit einem richtungsweisenden Gipfel einen ersten Höhepunkt setzen. „Wir wissen sehr wohl, dass die Konjunktur der internationalen Wirtschaft nicht vorteilhaft ist. Aber das darf nicht als Ausrede herhalten, um notwendige Reformen zurückzustellen“, erklärte Spaniens Regierungspräsident José María Aznar im Januar zum Auftakt seines EU-Vorsitzes. Der Konservative beansprucht für sich die Vorreiterrolle im Wirtschaftlichen. Wie kein anderes Land wusste Spanien den Aufschwung der letzten fünf Jahre zu nutzen. Eine ständige Wachstumsrate über drei Prozent ließ im Schnitt täglich 1.000 neue Arbeitsplätze entstehen. Das erlaubte Aznar eine Senkung der Lohn- und Einkommenssteuern, ohne wesentliche Kürzungen bei Sozialleistungen, was den Konsum und die Konjunktur zusätzlich anheizte.

Diese Politik soll jetzt auf dem ersten spanischen EU-Gipfel als Vorbild für die Union dienen. Aznar will die Liberalisierung der Wirtschaft vorantreiben, um so den Lissabon-Prozess, der unionsweite Vollbeschäftigung bis 2010 möglich machen soll, zu unterstützen. Die Reform des europäischen Transportsystems, die Liberalisierung des Energie- und Finanzsektors sowie die Flexibilisierung des europäischen Arbeitsmarktes stehen ganz oben auf seiner Wunschliste.

Doch nicht nur die Globalisierungsgegner kritisieren die Vorschläge Aznars. Widerspruch kommt auch aus der EU. Die deutsche Bundesregierung will von einer allzu drastischen Arbeitsmarktreform, die soziale Rechte abbaut, nichts wissen. Frankreich hält an den staatlichen Monopolen im Energiebereich fest. Öffentliche Dienstleistung wird in Paris in wichtigen Bereichen noch immer groß geschrieben. Dies sei „nur Wahlkampfgeplänkel“, lässt die spanische Regierung verlauten. Die Bundesregierung stellt sich im September den Wählern und die Franzosen sind bereits im kommenden Monat zur Wahl des Präsidenten aufgerufen. Und Zustimmung zu tiefgreifenden Liberalisierungsmaßnahmen in Europa bringen zu Hause nicht nur Sympathie. REINER WANDLER

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen