Politik macht auf flott

Rund 7.000 Jugendliche sind zu den Politiktagen nach Berlin gekommen. Die Mehrheit hat mit Politik wenig am Hut. Engagierte Gleichaltrige wollen das ändern

Deutsche Jugendliche schneiden bei internationalen Vergleichen nicht nur in Sachen Bildung schlecht ab: Sie sind auch deutlich seltener politisch aktiv als ihre Altersgenossen in anderen Industrieländern. Das belegt eine Studie, an der das Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung mitwirkte und die in den kommenden Wochen veröffentlicht wird.

Die rund 7.000 Jugendlichen, die sich seit gestern in der Technischen Universität (TU) zu den „Politiktagen“ treffen, scheinen die rühmliche Ausnahme zu sein. Politische Beteiligung zu fördern war das Hauptziel von Bundesfamilienministerin Christine Bergmann (SPD), als die „Partizipationskampagne“ im vergangenen November startete. Den zweitägigen Abschluss in der TU wollen die jugendlichen Organisatoren nutzen, um Projekte für die Zeit danach zu organisieren. „Dass wird kein Abschluss, sondern ein Anfang“, ist sich Koordinatorin Anna Weber sicher.

Andreas ist skeptisch: „Da sind sicher viele nur gekommen, weil sie schulfrei kriegen und einfach Spaß haben wollen.“ Der 18-jährige Blondschopf kommt aus Baden-Württemberg, sein orangefarbenes T-Shirt weist ihn als Info-Scout aus. Er wird die Teilnehmer zu Veranstaltungen begleiten, Fragen beantworten und sie vielleicht für Politik begeistern. Auch die 24-jährige Sozialarbeitstudentin Kerstin ist Info-Scout. Leute, die mit einer „Lasst-mich-in-Ruhe-Haltung“ gekommen seien, hofft sie mit Fingerspitzengefühl und flotten Sprüchen für politische und gesellschaftliche Fragen zu interessieren. „Und wenn ich sie nur dazu bringe, sich die Tagesschau anzugucken.“ Sönke schüttelt den Kopf: „Das ist viel zu optimistisch.“ Die Pläne des 20-jährigen Zivildienstleistenden: „Ideen für eigene Projekte sammeln und mit den Bundespolitikern im Gespräch bleiben.“

Die gibt es en masse zu bestaunen: Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) eröffnete gestern Abend mit Ministerin Bergmann die Politiktage, anschließend diskutierten die Grünen-Parteivorsitzenden Claudia Roth und Fritz Kuhn sowie die Stasi-Unterlagen-Beauftragte Marianne Birthler mit den Jugendlichen. In die über 100 Workshops kommen neben politischen Jugendorganisationen, Kirchen und Journalisten eine Schar von Bundestagsabgeordneten, um mit den Jugendlichen über NPD-Verbot, Pisa-Studie, Sicherheitspolitik oder Gentechnik zu diskutieren.

Auffällig viele linksgerichtete Organisationen wie die JungdemokratInnen gestalten das Programm. „Die legen vielleicht mehr Wert darauf, Diskussionen mit künftigen Wählern zu führen und politisches Bewusstsein zu schaffen“, versucht sich Andreas an einer Erklärung. Der junge Mann bekennt sich zur FDP – zum Entsetzen seiner Platznachbarin Lisa: „Da müssen wir aber gleich noch drüber diskutieren.“ Ihre Neigung zur PDS rührt wohl vor allem aus ihrem Engagement in der Flüchlingsbewegung.

Dass nur wenige Jugendliche sich überhaupt für Politik interessieren, kann Andreas nachvollziehen: „Ich schwanke ja selbst zwischen Politikverdrossenheit und dem Willen mitzuentscheiden.“ NADIA LEIHS