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Dschungelträume

In Ecuador setzen viele auf Ökotourismus – auch die Indigenas. Das Ziel: Im Amazonas einen selbstbestimmten Tourismus zu entwickeln, der den Menschen vor Ort nützt. Und damit auch dem Regenwald

von STEFAN REINECKE

Puyo. Neunhundert Meter hoch. Es ist schwül und diesig, die Regenzeit hat begonnen. Man riecht den nahen Dschungel. Ein schwerer, leicht fauliger Geruch liegt in der Luft. Über Puyo finden sich in den meisten Reiseführern nur ein paar Zeilen: „uninteressante Hauptstadt der Provinz Pastaza“, bestenfalls „Zwischenstation auf dem Weg in den Oriente, den ecuadorianischen Dschungel“.

In Puyo wartet José Gualinga auf uns. Er müsste ziemlich müde sein. Vor zwei Tagen war er in Hannover, auf einer Messe für Ökotourismus. Drei Minuten hat er dort mit Jürgen Trittin geredet. Ein richtiger Erfolg war die Reise trotzdem nicht, ein paar Treffen mit Reiseveranstaltern, die eher unverbindlich ihr Interesse an einer Zusammenarbeit mit José Gualingas Papangu-Reisebüro bekundeten. Das ist nicht viel für einen so teuren Trip – um das Flugticket zu bezahlen, hat er eigens einen Kredit aufgenommen.

Gualinga ist Quichua (die größte Indigenagruppe in Pastaza), Ende zwanzig und eine wichtige Figur in der Opip, der Indigenabewegung in Pastaza. Jetzt, um zehn Uhr am Samstagmorgen, sitzt er bewundernswert jetlagresistent in seinem Büro und erzählt uns seinen Traum: im Amazonas einen selbstbestimmten Tourismus zu entwickeln, der den Indigenas nützt.

Atacapitours wurde 1995 gegründet und vom Deutschen Entwicklungsdienst (DED) unterstützt. Die Idee war einfach: Reisen zu Indigenadörfern im Amazonasbecken zu organisieren. Die Führer sollten aus den Dörfern selbst kommen, das Ganze sollte dazu dienen, den Indigenas eine Einnahmequelle zu verschaffen, die das Ökosystem und die indigenen Gemeinschaften nicht zerstören. Doch es gab zu wenig Werbung und zu wenig Touristen. Die Indigenas im Dschungel waren sauer, sie hatten Hütten für Besucher gebaut, die nicht kamen. 1997 war das Projekt bankrott.

Damals gründete Gualinga sein eigenes Reisebüro: Papangu-Atacapi-Tours. Papangu arbeitet so wie früher – nur professioneller. Von dem Edeltourismus, bei dem die Reisenden mit Flugzeugen in den Dschungel geflogen werden und in noblen Lodges wohnen, hält Gualinga nichts, auch wenn das mehr Geld bringt. „Die deutsche Gesellschaft für technische Zusammenarbeit hat solche Projekte unterstützt. Da kommen Experten von außen, die den Indigenas beibringen, wie man Cocktails mixt. Das läuft unter Öko, weil das gerade in Mode ist. Das ist ein bisschen feel-good für die Touris, die ein paar exotische Tiere sehen und sonst nichts.“

Sein Konzept ist komplizierter. Es ist der mühsame Versuch, westliche und indigene Kultur auf Augenhöhe in Kontakt zu bringen. Das ist schwierig, nicht nur weil viele Westler Luxustrips in den Dschungel bevorzugen. Viele Indiginas haben auch keinen blassen Schimmer vom Markt. „Manche wollen tausend Dollar pro Tourist haben. Das muss raus aus den Köpfen“, sagt Gualinga. Und sie müssten lernen, dass sie selbst etwas tun müssen, um ihre Dörfer halbwegs tourismustauglich zu machen: Hühner halten zum Beispiel, Heilpflanzen anbauen, Hütten bauen, ein Plumpsklo und einen Weg zu ihrem Dorf, der auch in der Regenzeit passierbar ist.

Gualingas paradox anmutender Job ist es, im Dschungel einen Grundkurs in Marktwirtschaft zu geben, auch um die kapitalistische Ausbeutung des Dschungels durch die Konzerne zu verhindern. Denn es gibt im Dschungel nur Öl oder Tourismus. Nichts anderes. Das sei der zentrale Konflikt in den Dörfern, sagt Gualinga. „Er wird nicht mit Waffen ausgetragen, aber er ist hart.“

Ecuador ist abhängig vom Öl. Ohne Öl keine Schuldentilgung. Die Regierung hat das ecuadorianische Amazonasgebiet bereits an Firmen vergeben. Doch in der Provinz Pastazas gehört der Dschungel, der hinter Puyo beginnt, den Indigenas – genau genommen die oberen zwanzig Zentimeter des Bodens. Deshalb gibt es bislang kaum Öl in Pastaza. Deshalb buhlen die Ölfirmen um die Gunst der Indigenas – traditionell mit Alkohol und Korruption, in moderner Ökovariante auch mit Sonnenkollektoren, die man den Dörfern verspricht.

„Wir sind nicht grundsätzlich gegen Öl“, sagt Gualinga. Die Opip wollte gemeinsam mit Staat und Konzernen verhandeln, doch das wurde abgelehnt. „Wenn die Dörfer dafür wirklich Geld bekommen würden, Schulen und medizinische Versorgung, wenn indigene Techniker dort arbeiten könnten, wenn High Tech verwendet würde, um den Dschungel zu schützen – dann ja. Aber Regierung und Konzerne versprechen uns ein paar Bonbons. Sie halten uns einfach für dumm.“ Ölförderung, die den Indigenas nutzt, muss noch erfunden werden.

Wir machen einen dreitägigen Trip zu einer Shuarfamilie, organisiert vom Papangu Reisebüro. Unser Führer ist Jimi, der zwanzigjährige Cousin von José Gualinga. Wir laufen ein paar Stunden zu Fuß entlang des Pastazaflusses. Es regnet, es gießt, es schüttet. Mit kniehohen Gummistiefeln waten wir durch den Matsch. Stets darauf bedacht, nicht vom Weg abzuweichen, denn dort gibt es Schlangen. Wir sehen Kapokbäume, Papayas, Palmen, wilde Bananenstauden. Der Weg ist glitschig und eng. Manchmal braucht Jimi die Machete.

Vier Stunden brauchen wir, viermal so lang wie die Indigenas. Die Shuars, von denen die Legende weiß, dass sie vor einer Generation noch Schrumpfköpfe herstellten, leben in einzelnen Familien, anders als die Quichua, die in größeren Dörfern wohnen. Unsere Shuarfamilie hat ihre vier Hütten unweit des Pastazaflusses gebaut: ohne Strom, ohne Straße, ohne Boot. Louis heißt das Familienoberhaupt, ein rundlicher Fünfzigjähriger, der alles über Deutschland wissen will. Wie hoch die Häuser sind, wie tief die Flüsse, wie grün die Wälder. Er versöhnt uns mit der Frage, ob es in Alemania auch einen Mond gibt.

Louis lebt hier mit seiner Frau und elf Kindern, zwanzig Kilometer weiter im Dschungel hat er noch eine Frau und noch mal elf Kinder. Die Shuar sind polygam, anders als die Quichua. Doch mit der Polygamie, sagt Louis betrübt, gehe es zu Ende, seit die Kinder zur Schule gehen. Seitdem wollen die Frauen das rätselhafterweise nicht mehr.

Abends erzählt Jimi, unser Führer, von seinen Ängsten, die ihn den ganzen Tag verfolgten: dass ein Unglück geschieht, dass einer von uns abstürzt und in den reißenden Pastaza fällt oder von einer Schlange gebissen wird. Denn in der Nacht zuvor hatte er einen bösen Traum. Normalerweise bleibt er nach solchen Träumen immer im Haus. Normalerweise, wenn er in Sarayaku ist, in dem Quichuadorf, noch fünfzig Kilometer tiefer im Regenwald. Dort, sagt er, haben sie ein mit Solarkollektoren betriebenes kleines Krankenhaus und eine kleine Universität, wo er Landwirtschaft studiert.

Jimi hat noch einen anderen Traum. Er will werden wie sein Cousin, José Gualinga. „Der kann“, sagt er, „mit jedem reden. Der braucht sich vor niemand zu verstecken, so klug ist er. Und er kennt die Welt.“ Wahrscheinlich setzt die Opip genau darauf: Dass es Indigenas gibt, die in zwei Welten leben können, in der Coca-Cola-Welt und im Dschungel, die mit dem Blasrohr jagen und wissen, was MTV ist, die die Moderne verstehen und trotzdem ihrer Tradition verhaftet bleiben. Nur wenn es viele Jimis gibt, werden die Indigenas im Amazonas überleben. Und damit der Regenwald.

Papangu-Atacapi-Tours, Puyo, Pastaza, Ecuador, Fon/Fax 00 593-3-8 83-8 75,E-Mail: papangu@ecua.net.ecSTEFAN REINECKE ist politischer Korrespondent der taz.

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