Experte: Integrieren statt Ausgrenzen

■ Grüne fragen: Wahlkampf oder Wende in der SPD-Justizpolitik

Noch rätseln Bremens Fachleute in allen Abteilungen der Justiz: Hat Justiz-Staatsrat Ulrich Mäurer sich von sozialdemokratischer Justizpolitik verabschiedet? Werden bestimmte Jugendliche künftig von erzieherischen Maßnahmen ausgenommen? Oder macht der politische Vertreter von SPD-Bürgermeister und Justizsenator Henning Scherf „nur“ einen auf Stammtischkreise ausgerichteten schlechten SPD-Wahlkampf?

Anlass dafür hat der Justizstaatsrat selbst mit wiederholten öffentlichen Äußerungen gegeben. Manche Jugendliche seien verloren. Die müssten weggeschlossen und dann abgeschoben werden. „Sie wurden nie sozialisiert und sind deshalb auch nicht resozialisierbar“, damit hatte er sich offenbar vom Erziehungsauftrag des Jugendvollzugs verabschiedet – oder doch nur Wahlkampf gemacht? Diese Frage bewegte die rund 50 Personen aus Vollzug, Staatsanwaltschaft, Richterschaft, Jugendgerichtshilfe und rechtsanwaltschaft, die gestern auf Einladung der Grünen in die Bürgerschaft gekommen waren.

Unter dem Titel „Neue Bremer Justizpolitik – Resozialisierung zwecklos?“, hatte der grüne Justizpolitiker Hermann Kuhn zur Debatte geladen, „die nicht nur gegenseitiger Selbtvergewisserung dienen soll.“ Tatsächlich sprach sich Jugendrichter Bernward Garthaus dafür aus, ein geschlossenes Heim für Jugendliche einzurichten, die anders nicht zu erreichen seien. Als besonders problematisch gilt ein rund zehnköpfiger Personenkreis von nicht Strafmündigen 12 bis 14-Jährigen. Wenn die nicht kooperierten, seien die – gestern oft kritisierten Einrichtungen der Jugendbehörde – oft machtlos.

Unterdessen ließ der Bremer Rechtsprofessor Karl Schumann keinen Zweifel daran, dass Staatsrat Mäurers Äußerungen überhaupt nicht zur Linie der Justiz- und Innenpolitik der rot-grünen Bundesregierung passetn. Schumann ist Mitautor des „Ersten periodischen Sicherheitsberichts“ der Bundesregierung von 2001. Das 600 Seiten starke Dokument befasst sich unter anderem mit Jugendkriminalität. „Es hat die Wertigkeit eines Berichtes der Bundesregierung“, so Schumann. Die Absicht dieser neuartigen Berichtsform sei es, zur Versachlichung im kriminalpolitischen Bereich beizutragen. Dort habe bislang die Debatte um die polizeiliche Kriminalstatistik dominiert. Die aber liste lediglich Verdachtsfälle und Anzeigen auf – evaluiere aber nie die Wirkung von strafrechtlichen Maßnahmen. Die haben die Verfasser der Arbeit jetzt unternommen. „Unsere Aufgabe war, die sachliche Grundlage für politische Entscheidungen herzustellen.“ Im Bereich der Jugendkriminalität sind die Empfehlungen eindeutig: „Härtere Strafen bleiben bei Jugendlichen, die mittelschwere Delikte begangen haben, wirkungslos“, so der Rechtsprofessor. „Verstärkte Inhaftierung intensiviert lediglich die Ausgrenzung.“ Insbesondere bei Jugendlichen, die periodisch auffällig würden, solle lieber integriert werden. Auch langfristige Kostenüberlegungen sprächen dafür, straffällige Jugendliche prompt und möglichst differenziert zu resozialisieren.

ede