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In den falschen Körper gefahren

Teufelszauber der Rockgeschichte: In der Columbiahalle traten die Metal-Veteranen von Judas Priest mit ihrem neuen Sänger Tim Owens gegen den Schatten ihrer glorreichen Vergangenheit an und machten eine eher unglückliche Figur

Der Strahl eines Spotlights zielt auf die Bühnenwand. Im Lichtkreis, auf einer Empore, steht Tim Owens. 1996 ist er an die Stelle des Sängers Rob Halford getreten. Niemals, heißt es in Heavy-Metal-Fachkreisen, habe ein Sänger des Genres sich einen schwereren Schatten ausgesucht – obwohl etwa auch Van Halen ihren Sänger gewechselt haben.

Breit, kurzhaarig, mit Bart und Basecap steht Owens im Lichtkegel, damit der Schatten sich verflüchtigt, wobei er ein wenig Fred Durst von Limp Bizkit gleicht. Erst allmählich taucht der Rest der Band aus dem Dunkel, wie Galeerensklaven arbeiten sie unten auf der Bühne. Die Gitarrenhälse gehen auf und nieder, das lange, mit den Jahren dünner gewordene Haar weht im Takt. Dann steht der junge Owens aus Akron, Ohio, plötzlich zwischen dem Gitarristen Glenn Tipton, Gitarrist K. K. Downing und Bassist Ian Hill, den Urvätern des Metal, die seit 1969 unter dem Namen Judas Priest verzeichnet sind und wie Black Sabbath aus Birmingham, Großbritannien, stammen. Nur Schlagzeuger Scott Travis ist auch erst seit zehn Jahren dabei.

In Judas Priest nimmt die Historie des Heavy Metal Gestalt an. An diesem Abend spielen sie auch Stücke vom Album „Sad Wings of Destiny“. Damit waren Judas Priest 1976 zu einem wesentlichen Teil der „New Wave of British Metal“, in der die Unzufriedenheit junger Männer aus den krisengeschüttelten britischen Industriezentren ein Ventil fand, geworden. Die alten Judas-Priest-Stücke liegen wie Hardrock, aus dem sich Heavy Metal als Musikrichtung entwickelt hat, im Bereich mittlerer Geschwindigkeit; gepaart mit wahnwitzigen Oktavsprüngen des Gesangs. Der Hit „Breaking the Law“ von 1980 klingt an diesem Abend im Original allerdings wie eine schlechte Coverversion seiner zahlreichen Punkrock- und Country-Adaptionen. Bei den neueren Stücken vom Album „Jugulator“, mit dem man 1997 die Rückkehr feierte, und dem aktuellen Album „Demolition“ verschieben Judas Priest die Heavy Metal-Koordinaten: Die Werte „Geschwindigkeit des Spiels“ und „Stimmhöhe“, mit deren Hilfe sich auch die mittlerweile zahlreichen Variationen wie Doom- oder Speed-Metal bestimmen lassen, laufen nun zunehmend Richtung Metallica.

Mit dieser fast peinlichen Anpassung an eine trendgemäßere Band, nicht zuletzt aber wegen Owens, der rein äußerlich eher nach Crossover und Nu Metal aussieht, werden Judas Priest in der Columbiahalle zu Abziehbildern der Metal-Geschichte, die ihre Fans zum rhythmischen Klatschen auffordern. Owens beherrscht den Falsett-Gesang zwar perfekt, nicht umsonst war er Sänger der Judas-Priest-Coverband „British Steel“. Doch den ganzen Abend denkt man hartnäckig: Irgendetwas passt nicht – aber was nur?

Auch wenn er den Namen eines frühen Judas-Priest-Songs trägt, bleibt Tim „Ripper“ Owens der Sänger einer Coverband. Die Stimme des mageren Teufels Halford ist in den falschen Körper gefahren. Das Publikum, das weniger Jeanskutten trägt und eher Leder und Sportblouson kombiniert, beschimpft Owens pflichtbewusst mit den Worten „Du bist Scheiße“, lässt sich dann aber doch vom Zauber der Geschichte blenden: Priest, Priest, Priest! wird immer wieder gebellartig skandiert. Wirklich ergriffen kann man allerdings nur in kurzen Momenten sein, wenn etwa der Sound einer Harley das nächste Stück einleitet.

Halford war dazu Ende der Siebziger gleich mit einer Harley auf die Bühne gefahren. Auch wenn sein Erfolg in der Nachfolge Halfords mit „Rockstar“ 2001 sogar verfilmt wurde: Owens selbst scheint noch nicht – oder nicht mehr – zu glauben, was er da eigentlich tut. Oder warum ruft er sonst, als er die Band vorstellt, nach „Judas Priest!“ immer noch erklärend „Heavy Metal“?

JULIE MIESS

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