Eifersucht und Versteifungen

Lieblinge unter sich: Beim „zweiten Mal“ der lit.Cologne traf Judith Herrmann auf Jenny Erpenbeck und Alexa Hennig von Lange, und Roger Willemsen las Jammerverse aus dem „Simplicissimus“ vor

von GISA FUNCK

Bevor sie sich an das Rednerpult setzte, stellte ihr die WDR-Moderatorin Christine Westermann die Frage, die Judith Herrmann immer alle stellen. Die Frage nach ihrem Überraschungserfolg vor dreieinhalb Jahren, als Marcel Reich-Ranicki ihren Debütband „Sommerhaus später“ mit den Worten lobte, er erkenne darin eine „große Dichterin“. Wie man danach ein zweites Buch angehe, wollte Westermann wissen. „Der Erfolg hat mich nicht beflügelt, auch nicht behindert“, hauchte Herrmann ihr entgegen. Und als sie ebenso langsam wie lapidar weitererzählte, dass Reich-Ranickis Urteil bei ihr „sofortige Müdigkeit“ ausgelöst habe, schwang darin die leicht kokette Selbstgefälligkeit mit, die Lieblingen oft eigen ist.

Judith Herrmann ist – zweifellos – ein, wenn nicht der Liebling deutscher Literaturfans. Roger Willemsen ist es nicht. Beide waren nur zwei aus einer langen Liste von Autorenberühmtheiten, die unter dem etwas schlüpfrig anmutenden Titel „Das zweite Mal“ auf der Kölner lit.Cologne zu sehen waren. Wobei Willemsen, der die sonntägliche Abschlussgala zu moderieren hatte, das Festivalmotto ungewollt konterkarierte, wonach Lesungen „raus aus der Buchhandlungsnische“ und mitten ins Leben müssen, wie Organisator Rainer Osnowski das nennt.

Denn wenngleich der bekennende Intellektuelle die eigene Veranstaltung bereits vorab als sinnliches „Woodstock der Literatur“ angepriesen hatte, präsentierte er sich selbst darin doch arg beflissen. Nicht genug damit, dass er dem Publikum eigene Zeitungsartikel zumutete. Er schreckte auch nicht davor zurück, es mit endlosen Jammerversen aus dem Simplicissimus zu traktieren, weil „auch so etwas zu einem solchen Abend“ gehöre.

Sätze wie diese klangen tatsächlich nach ebenjener bildungsbürgerlichen Betulichkeit, gegen die sich die Macher der lit.Cologne eigentlich wenden. Anders als vor einem Jahr aber, als man hauptsächlich mit Klamauk von Harry Potter bis hin zur Fußball-Lesung im Geißbockheim am Elfenbeinturm rüttelte, gab man sich diesmal auffällig um literarische Qualität bemüht – auch wenn man einmal mehr risikolos auf die Kracher der Saison setzte.

Die ließ man während der Vielzahl von Veranstaltungen recht willkürlich ausgewählt und bevorzugt paarweise gegeneinander antreten. Skandalprofi Michel Houellebecq traf da auf „Betty Blue“-Autor Philippe Djian, die unter Feministinnen beliebte Christine Angot auf die bei Frauenrechtlerinnen ebenso verhasste Catherine Millet – und der schriftstellernde Ehemann Leon de Winter auf seine schriftstellernde Ehefrau Jessica Durlacher.

Beim Thema „Eifersucht“ wurde Judith Herrmann sogar gleich mit zwei anderen „Frolleinwunder“ konfrontiert: der Klagenfurt-Preisträgerin Jenny Erpenbeck und der Popliteratin Alexa Hennig von Lange. Was zu durchaus amüsanten Spiegelungseffekten führte. Während Erpenbeck „Atropa bella-donna“ vorlas, ebenjene autobiografische und poetisch ausgefeilte Geschichte vom Einbruch der Erotik in eine Kinderfreundschaft, für die sie von der Bachmann-Jury ausgezeichnet wurde, gab von Lange die aktuell erschienenen Romanabenteuer ihrer jugendlichen Heldin Lelle zum Besten. Die 15-Jährige töpfert sich zur Entjungferung nicht nur den eigenen Penis, sondern verteidigt ihren Kleiderschrank vor dem mütterlichen Zugriff auch schon einmal mit dem Brotmesser.

Kurzum: Von Langes Text hatte – im Gegensatz zu denen von Herrmann und Erpenbeck – wenig mit Eifersucht zu tun, überhaupt wenig mit persönlichen Erlebnissen, dafür um so mehr mit Slapsticknummern, wie man sie aus amerikanischen Comedyserien kennt. Entsprechend fehl am Platz fühlte sich auch die Autorin. Schmachtendes Herz-„Fieber“, gegen das es laut Herrmann „kein Heilmittel“ gibt?! „Nee also, das kenne ich gar nicht!“, meinte die Frau, die als Markenfetischistin bekanntermaßen lieber dem materiellen als einem emotionalen Luxus frönt. Und ganz im Gestus der routinierten Frauenzeitschriftenkolumnistin proklamierte von Lange: „Wenn es sich nicht mehr richtig anfühlt, dann ist es vorbei. Dann habe ich mir einfach einen Neuen gesucht!“

Tatsächlich ließen sich an den Statements des Trios exemplarisch die derzeitigen Standpunkte der jungen Berliner Schreibszene ablesen, wo der schnoddrige Popsound inzwischen zugunsten eines sprachlich viel ambitionierteren Ringens um Identität abgeebbt ist. Und das waren enttarnende Momente, die aber natürlich längst nicht alle Gesprächsrunden der lit.Cologne lieferten. Vielmehr musste man auch hier leider allzu oft die ernüchternde Hollywood-Erfahrung machen, dass hochkarätige Namen allein noch keinen interessanten Abend garantieren. Etwa dann, wenn sich Houellebecq hinter seiner Rolle als schreibender Unsympath verschanzte. Oder wenn der Kölner DJ Hans Nieswandt mit FSK-Veteran und „Hellblau“-Autor Thomas Meinecke sehr brav über den Popstar Mariah Carey respektive Plattenaufleg-Episoden sprach, als handele es sich dabei um einen Schulaufsatz. Dann fehlte der Selbstmystifizierung doch sehr schmerzlich jeder Ansatz von ironischer Distanz, ohne die gerade nächtliches Diskogeplauder zwangsläufig zur Banalität absinkt.

Dann doch lieber gleich zu Christoph Schlingensief, der seine Botschaften zwar ernster meint, als viele ihm unterstellen, sie aber zum Auftakt wohltuend mit Spökes auch auf eigene Kosten verpackte. Der 41-jährige Volksbühnen-Regisseur, der nach eigener Aussage just „20-jähriges Jubiläum als Enfant terrible“ feierte, gab sich erschüttert über das Treiben deutscher Politiker und ließ seinen Assoziationen altbewährt ihren Lauf. Er sang Hildegard Knef nach und Rocko Schamoni, würzte das Ganze mit Adorno, Joseph Beuys und der weniger appetitlichen Anekdote, wonach ein Zeitungsherausgeber an „Induratio penis plastica“ leidet – an einer unheilbaren Versteifung im Schritt.

Das war wirr, oft lästernd, manchmal zynisch und rührte einen trotzdem. Wahrscheinlich schlicht deshalb, weil Schlingensief dem bei vielen vorhandenen Ohnmachtsgefühl, ein „Nichts zu sein“, erstaunlich widerständige Kraft zubilligte. Wie ein Guru hob er gleich mehrmals beschwörend die Arme und verlangte von seiner Fangemeinde: „Aus der Kirche austreten! Seine Familie verlassen! Wahlboykott!“ Und als er leise hinterherschickte: „… wenigstens eines der drei Dinge und wenigstens für ein Jahr“, nahm man ihm den flehentlichen Unterton im Allerlei wirklich ab.