Keine Zeit für fröhliche Reisen

■ Der Austausch zwischen Bremen-Hemelingen und VertreterInnen der arabischen Minderheit aus der israelischen Stadt Tamra ist jetzt der Nahost-Krise zum Opfer gefallen / Ein Interview mit dem Bürgermeister von Tamra

taz: Sie haben die Begegnung mit Bremen in diesem Jahr abgesagt. Sie könnten Israel jetzt nicht verlassen, hieß es. Warum?

Mussa Abu Rami: Die Sicherheitslage in Israel hat sich extrem verschlechtert, nachdem die israelische Armee Teile der Autonomiegebiete besetzt hat, die nach dem Osloer Vertrag eigentlich geschützt sind. Weil deshalb eine völlig unklare Lage herrschte, waren wir gezwungen, in unseren Häusern zu bleiben – nicht zuletzt, weil wir gefürchtet haben, dass uns selbst Nachteile drohen könnten, falls die Gebietszuschreibungen von 1948 in Frage stünden. Außerdem sehen wir derzeit keinen Anlass zum Feiern. Täglich gibt es Verletzte und Tote unter unseren palästinensischen Brüdern und Schwestern in der Westbank und im Gazastreifen. Es ist eine Zeit der Trauer. Wir begegnen ihr, indem wir versuchen, mit Israelis, die noch an den Frieden glauben, die Beziehung zwischen den beiden Völkern zu verbessern. Am letzten Wochenende haben sich 300 Israelis jüdischer und arabischer Herkunft getroffen um zu beraten, wie wir die gegenwärtige Eskalation überwinden und zur Vernunft zurückkehren können.

Sie sind Bürgermeister von Tamra – und als dieser auch schon von Bremens Bürgermeister Scherf hier im Rathaus umarmt worden. Was bedeutet der Austausch mit Bremen für die arabische Minderheit in Israel?

Er ist uns sehr wichtig – auch um über unsere Lage zu informieren. Die Kontakte mit Bremen sind unser Signal an unsere Freunde und die Freunde des israelischen Volkes, dass wir Frieden und Vermittlung für Frieden brauchen.

Wie sehen Sie die Zukunft Ihrer Kinder?

Natürlich muss man sagen, dass die Kinder im Gaza und im Westjor-danland extrem gefährdet leben. Sie haben Angst und sind traumatisiert. Sie dürfen nicht zur Schule gehen – und verarbeiten die Erlebnisse, indem sie Krieg spielen. Im Spiel verstecken sie sich vor Luftangriffen, nachts wachen sie schreiend aus Alpträumen auf, wenn sie Hubschrauber hören, reagieren sie panisch. Ich fürchte, dass die israelischen Politiker nicht bedenken, welche Wirkung das langfristig auf diese Kinder haben wird. Sie lernen zu hassen. Was arabische Kinder in Israel angeht ist es so, dass Bewohner aus arabischen Dörfern und Gemeinden aus jüdischen Siedlungen beschossen worden sind. Wir bleiben deshalb in den überwiegend arabischen Gebieten in Israel.

In Friedenszeiten sind Ihre Wohngebiete beliebte Ausflugsziele für jüdische Städter – und das ist nicht zuletzt ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Wie sieht das jetzt aus?

Diese Art von Kontakten ist völlig zum Erliegen gekommen. Zur Zeit kommt kein jüdischer Israeli zu uns. Dabei haben wir viel Werbung gemacht und immer wieder jüdische Bürger zu uns eingeladen, damit die Menschen unser Alltagsleben kennenlernen. Aber es trauen sich nur wenige. Zugleich wird das Misstrauen gegenüber der arabischen Minderheit von der rechten Regierung und rechtsgerichteten Parteien instrumentalisiert, um uns wirtschaftlich zu schaden.

Jüngste Umfragen in Israel geben Auskunft darüber, dass die Zahl derjenigen wächst, die die arabische Minderheit aus Israel vertreiben will.

Die rechten Parteien reden tatsächlich wieder von einer „moralischen Vertreibung“, moralisch in dem Sinn, dass die Weltbevölkerung oder die UNO so etwas angesichts der Gesamtlage in Israel akzeptieren sollte. Als Kind habe ich immer von rechten Politikern gehört, die uns auf einen Traktor setzen und in den Osten der Westbank bringen wollten. Momentan spricht man höflicher von Bussen, die die Paläs-tinenser, also uns, nach Ostjordanien bringen sollen. Aber ich will betonen, dass die arabische Minderheit in Israel mit rund 1,2 Millionen Menschen das Land von den Großvätern geerbt hat. Ich sage, wir werden keiner Macht der Welt lebend nachgeben. Wir sind die ersten, die sich für einen Frieden mit den arabischen Nachbarn einsetzen. Innerhalb Israels würde es helfen, wenn alle extremistischen Parteien verboten würden.

Wäre es nicht gerade in der jetzigen Lage für Sie wichtig gewesen, offiziellen Besuch aus Bremen zu bekommen?

Ich hatte gehofft, die Gäste würden kommen. Wir hätten ein Sonderprogramm organisiert, bei dem die Sicherheit der Gruppe gewährleis-tet gewesen wäre. Aber natürlich hätten wir den größten Teil der Zeit gemeinsam in unseren Gebieten verbracht und wären weniger in den jüdischen Gebieten gereist. Obwohl wir jetzt ein Jahr verloren haben, hoffe ich, dass sie nächstes Jahr kommen. Vielleicht können sie ja sogar über einen unabhängigen Staat Palästina einreisen.

Fragen: Eva Rhode