: Der Fetischcharakter der Kunst
Im Trend zum Porno: Scott Redford Film „I need more“ läuft als Loop an einer Wand des Künstlerhauses Bethanien. Was als subversiver Gender-Diskurs auftreten will, schaut verdammt nach einfacher Erweiterung des Marktes aus
Drei Männer, ein Tarnnetz, ein paar Flaschen Bier: Eigentlich gäbe es über „I need more“, den Videofilm des Australiers Scott Redford, kaum mehr zu sagen, als dass es sich hierbei zweifelsohne um einen schwulen Hard-Core-Porno handelt. Interessant ist wohl eher der Streifen im Studio II des Künstlerhauses Bethanien, der während der regulären Öffnungszeiten als Loop an die Wand projiziert wird.
Auch wenn der Pressetext und Redford selbst betonen, dieses Werk sei mehrdeutig und auch vor dem Hintergrund von Gender-Debatten und schwuler Emanzipation zu interpretieren, würde dieser Umstand auf dem Monitor in einer Szene-Bar wohl kaum ins Gewicht fallen.
So gleicht das mit Technomusik unterlegte Video in seiner Machart einschlägigen Berliner Erzeugnissen: In Fetish-Gear gekleidete Akteure lecken Stiefel, schnüffeln Poppers, lassen sich ungeschützt ficken und fisten, in den Mund pissen, anspucken, verpassen sich Einläufe, spielen mit Dildos und Gasmasken.
Auch die betont „ schlecht“ gefilmten Sequenzen und harten Schnitte, die an die Ästhetik von amerikanischen Undergroundfilmen erinnern, oder die Semiprofessionalität der Darsteller entsprechen einem aktuellen Trend der Pornoproduktion – dem früher auf möglichst glatte Inszenierungen bedachten Metier einen rauen authentischen Anstrich zu geben und es damit zur aufregend subversiven Kunstform zu erhöhen. Der spektakulärste Ort für eine Pornopremiere der neuen Generation wäre mit Sicherheit das Museum.
Das Risiko eines vermeintlichen Tabubruchs, das Redford mit der Verlagerung von „I need more“ aus dem angestammten Kontext des Pornofilms in den Bereich der Kunst eingeht, ist dementsprechend gering. Von Hamburg bis Dresden wird mit Ausstellungen wie „Nackt! Die Ästhetik der Blöße“ oder „ Let’s talk about Sex“ der ungenierte Blick auf die bloße Körperlichkeit als Ausdruck von aufgeklärter Sinnenfreude gefeiert und verkauft.
Für Redford, dessen Karriere mit minimalistisch cleanen Installationen begann, gestaltet sich der museale Raum zwischen Peep-Show und Discovery-Channel zum Marketingort eines zur dekorativen Farce verkommenen Diskurses über homosexuelle Identität, Sterblichkeit und Begehren. So gedenkt er folgerichtig, „I need more“ in einer erweiterten, mit Handlung versehenen Fassung auf den Markt zu bringen und in Zukunft verschärfte Remakes von schwulen Klassikern wie Genets „Un Chant d’ Amour“ oder Kenneth Angers „Scorpio Rising“ zu realisieren.
Angesichts von Redfords Studium der abschließenden Passagen von De Sades „120 Tage von Sodom“ mag sich mancher an die Dispute über Kunst, Pornografie und Faschismus erinnern, die Pier Paolo Pasolinis filmische Adaption des Stoffes 1975 auslöste. Zum Zeitpunkt seines Erscheinens wurde der Film verboten und der Regisseur wenige Tage später unter bis heute ungeklärten Umständen ermordet. Dennoch galt der bekennende Marxist Pasolini seinerzeit der italienischen Linken als reaktionärer Abtrünniger, weil er sich in den Siebzigerjahren gegen die Freigabe der Abtreibung wandte und vehement gegen die zunehmende sexuelle Lockerung in der Gesellschaft polemisierte.
Das, was anderen Theoretikern als Vorzeichen fortschrittlicher Liberalisierung erschien, bezeichnete Pasolini als den Ausdruck einer für den Kapitalismus „unentbehrlichen hedonistischen Ideologie“ als „schlimmste aller Repressionen der Menschheitsgeschichte“, weil sie traditionelle kulturelle Modelle verleugne.
So dogmatisch diese Haltung heute auch erscheinen mag, so sehr liegt es doch nahe, dass es bei pornografischen Produkten wie „I need more“ nicht mehr um kritische Diskurse geht, sondern einfach um eine Erweiterung des Marktes.
OLIVER KOERNER VON GUSTORF
Scott Redford: „I need more“, bis zum 24. März. Künstlerhaus Bethanien, Mariannenplatz 2
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