Bildstörung

Ambitioniert absichtsvoller Leerlauf: „Hotel Radio“ von Frauke Havemann und Neal Wach – eine Koproduktion von Lisa Lounge und dem Theater am Halleschen Ufer

Nachts sind die Stimmen sanft und die Körper grau. Wir hören Radio und da quatscht einer im Dunkeln. Wie können wir sicher sein, dass er wirklich existiert? Die Sache ist so: Wir können es nicht. Regisseurin Frauke Havemann gibt ihrem Performer Neal Wach immerhin einen Mund, ein Stück Nase, eine halbe Brille und ein Mikrofon. Er darf ein kleine rote Lampe immer wieder an- und ausschalten. Auftritt, Abtritt. Er sitzt uns ein wenig abgewandt auf der Bühne, sein geteiltes Gesicht erscheint als rot ausgeleuchteter Körperpartikel auf einem Videoschirm, elektronisches Abbild einer unsicheren Realität. Er spricht über das Wetter, über Müllprobleme und die Entenjagd.

Texte von David Mamet, Lenny Bruce, Don Delillo, Richard Foremann und anderen verstecken sich in der hingeraunzten Radiorede. Der in New York geborene Schauspieler Neal Wach lebt seit acht Jahren in Berlin. Hier spricht er ohne strenge, künstlerische Notwendigkeit ein schwer verständliches Englisch. Immerhin: Wir sehen und hören etwas, auch wenn wir nicht genau wissen, ob die Person des Radiomoderators vollständig existiert. Doch, ab und zu springt er auf und manchmal trinkt er aus einem Wasserglas. Na also. Eigentlich ist er das Einzige, über das überhaupt eine Aussage gemacht werden kann. Aber was ist mit den Dingen, die wir nicht sehen? Mit dieser düster wattigen Leere, die als Einsamkeit auf uns zurückfällt?

Auf Bildschirmen, rechts und links des Moderators, frontal zum Publikum gerichtet, befinden sich Gesichter. Eines ratlos, mit den Augen suchend – abwartend, erwartend. Das andere frech und stumpfsinnig zugleich, fordernd. Nie passt das ganze Gesicht drauf, immer nur Nasen, Augen, Mund. Die beiden sind Anrufer, potentielle Talkgäste. „Can I ask a question“, drängelt der eine. „Go ahead.“ – „How long can a man be pushed?“ - „Let’s have another question.“ Fragen hängen in der Luft, Antworten gibt es nicht, dafür immer wieder Bild- und Tonstörungen. Hätte der Radiotalker ein Gesicht, würden wir die beiden Anrufer schon kennen. So aber ist Neal Wach ein Mann mit einer Stimme und zwei Gesichtern. Der Mann, der mit sich selbst spricht. Der mit jedem redet und doch mit sich vollkommen allein ist.

Die Telefongespräche, die Quizfragen, die Interviews – alles nur ein Fake. Frauke Havemann, die ihre interdisziplinären Projekte bisher im Theater am Halleschen Ufer präsentierte, interessiert sich für den Dialog zwischen virtueller und gelebter Realität. Mit Neal Wach zusammen schuf sie eine ästhetisch und schauspielerisch hochinteressante Installation, die die Wirklichkeit als disparat, nur partiell wahrnehmbar reflektiert. Aber ihr Arrangement ist statisch, verweigert sich der Theatersituation. Die Kommunikation ist absichtsvoll gestört, zwischen den Live- und Videoperformern ereignet sich nichts außer Missverständnissen. Das echte Talkradio täuscht intime Situationen in wenigstens lebhafter Art und Weise vor. „Hotel Radio“ dagegen läuft ambitioniert ins Leere.

REGINE BRUCKMANN

21.–24. März, 21 Uhr, Lisa Lounge im Gemeindehaus, Invalidenstraße 2–4