Ein epochaler Dosenknick

Nach dem Willen der Umweltschützer soll das Pflichtpfand die Flut von Dosen und Einweg eindämmen

von MATTHIAS URBACH

Wofür muss man künftig Pflichtpfand zahlen?

Ab 1. Januar 2003 werden alle Einwegverpackungen pfandpflichtig, in denen Bier, Mineralwasser, Tafelwässer oder kohlensäurehaltige Erfrischungsgetränke (sprich: Cola und Limonade) abgefüllt sind. Also nicht nur Dosen, sondern auch Einwegflaschen aus Glas und Plastik. Auch Mineralwasser im Tetrapak wird pfandpflichtig. Das Pflichtpfand beträgt 25 Cent, ab einem Verpackungsinhalt von eineinhalb Litern 50 Cent. Auch Eistee, Bitter- und Sportgetränke fallen unters Pfand – soweit sie sprudeln. Pfandfrei bleiben Wein, Milch und Fruchtsäfte. Bier, Mineralwasser und Limonaden sind die Bereiche, in denen die Mehrwegquote in den vergangenen Jahren am dramatischsten eingebrochen sind.

Warum kommt das Pfand erst 2003?

Rechtliche Grundlage für das Pflichtpfand ist die 1991 unter dem Umweltminister Klaus Töpfer (CDU) entstandene Verpackungsverordnung. Die führte de jure bereits ein Pflichtpfand ein, gewährte aber eine Ausnahmeregel, solange die Mehrweganteile von 1991 stabil bleiben. Seit 1997 aber sinkt dieser Anteil kontinuierlich. Die Verordnung sah für diesen Fall eine letzte Bewährungsfrist für die Industrie vor, bis zum Abschluss der so genannten Nacherhebung. Diese war vergangenes Jahr abgeschlossen, woraufhin Umweltminister Jürgen Trittin (Grüne) mit Bundesrat und Industrie über einfachere Regelungen verhandelte. Dies scheiterte, woraufhin 16 Handelsriesen und Braukonzerne gegen das Pfand vor Gericht gingen. Das Oberverwaltungsgericht wies die Klage im Februar ab. Nun beschloss das Kabinett gestern, das Pflichtpfand wie vorgeschrieben einzuführen. Dazu müssen die Mehrwegquoten offiziell im Bundesanzeiger veröffentlicht werden, worauf ein halbes Jahr später das Pfand in Kraft tritt. Weil der Handel mehr Zeit erbat und Kanzler Gerhard Schröder das Thema „Zwangspfand“ im Wahlkampf nicht gebrauchen kann, beschloss das Kabinett, die Quote erst am 1. Juli zu veröffentlichen.

Welche Verpackungen soll ich kaufen?

Auch mit der Rücknahmepflicht für Einwegflaschen und Dosen werden diese nicht umweltfreundlicher. Nach wie vor gilt: Am besten für die Umwelt sind Plastik-Mehrwegflaschen, dicht gefolgt von Glas-Mehrwegflaschen. Die Kartonverpackungen, Tetrapaks genannt, sind bei Milch und Säften ökologisch gleichwertig mit Mehrwegflaschen, weil sie wenig wiegen, zum großen Teil aus Pappe bestehen und Mehrwegflaschen nur mit großem Aufwand von verschimmelten Milch- und Saftresten zu reinigen sind. Dies gilt aber nur, solange die Trinkkartons in der gelben Tonne landen. Große Flaschen sind generell umweltfreundlicher als kleine. Und importierte Getränke aus großer Entfernung sind immer ein Problem für lokale Kreisläufe, selbst wenn es Mehrwegflaschen sind.

Wie funktioniert die Rücknahme?

In den großen Supermärkten und Discountern werden vermutlich Rücknahmeautomaten aufgestellt. Vor allem bei den Dosen wird es darauf ankommen, sie halbwegs unbeschädigt abzuliefern, da die Maschine den Strichcode noch lesen können muss. Dies ist nötig, um zu verhindern, dass Dosen aus dem Ausland eingeführt werden, um hier Pfand abzuzocken. Schweden hatte anfangs gewaltige Probleme mit polnischen Dosen, weil es zunächst keine Kennzeichnung gab. Kleinere Läden werden vermutlich per Hand einsammeln.

Kann Stoiber das Pfand noch kippen?

Mehrere Bundesländer haben, angeführt von Bayern, hart gegen das Pflichtpfand gekämpft. Selbst einige SPD-geführte Länder wie Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen leisteten Widerstand. Nun hoffen manche auf einen Machtwechsel nach der Bundestagswahl. Doch auch ein Kanzler Edmund Stoiber (CSU) könnte das Pflichpfand nicht mehr kippen. Denn mit der Veröffentlichung der Regelung im Bundesanzeiger im Sommer ist der Mechanismus in Gang gesetzt. Bis zur Wahl sind bereits hunderte Millionen Euro vom Handel in neue Rücknahmeautomaten, Hallen und Lastwagen investiert. Die Wirtschaft genießt eigentlich bereits seit 1991, spätestens aber seit der gestrigen Kabinettsentscheidung, einen Vertrauensschutz. Selbst wenn Stoiber das Pfand abschaffen wollte, müsste er eine Übergangsfrist einräumen, die nach Schätzung des Rechtsanwaltes der mittelständischen Getränkewirtschaft mindestens eine Legislaturperiode umfasst. Das ist ganz ähnlich wie beim Atomausstieg.

Was bewirkt das Pfand im Ladenregal?

Branchenkenner vermuten, dass viele kleinere Supermärkte künftig ganz auf Einweg verzichten, weil sie den Aufwand scheuen, zwei Pfandsysteme nebeneinander abzuwickeln. Ansonsten hoffen Umweltschützer, dass auch Discounter künftig Mehrwegflaschen als Alternative zu den Einwegflaschen ins Regal nehmen werden – schließlich werden Mehrweggetränke künftig vergleichsweise billiger, weil das normale Pfand geringer als das Zwangspfand ist. Selbst der Coca-Cola-Konzern senkte zum Jahreswechsel vorausschauend sein Pfand von 70 Pfennig auf die 1,5-Liter-PET-Mehrwegflasche auf die üblichen 15 Cent. Ob die Discounter wirklich Mehrweg ins Regal nehmen, bleibt abzuwarten. Denn sie haben am heftigsten gegen das Pflichtpfand gekämpft.

Woher kommt die Einwegflut?

Zunächst boomten vor allem die Bierdosen. In Sixpacks war das Billigbier vor allem in Tankstellenshops und Discountern sehr beliebt. In den letzten eineinhalb Jahren folgte der zweite Boom von Einweg, diesmal bei den 1,5-Liter-Limonadeflaschen. Wieder drückten die Getränkehersteller und Discounter ihr Produkt mit Sonderangeboten aggressiv in den Markt. Das Resultat: In nur sechzehn Monaten fiel der Mehrweganteil bei Cola und Limo um 16 Prozent.

Aber nicht nur Bierdosen und die großen Plastikflaschen verdrängten die Mehrwegflaschen. Auch die kleinen Flaschen „für unterwegs“ aus Plastik oder Glas breiten sich immer mehr aus, seit noch der kleinste Kiosk seine eigene Kühltruhe von den Getränkefirmen aufgestellt bekommt.

So sank der Anteil der Mehrwegflaschen von 71 Prozent am Gesamtumsatz im Jahre 1997 auf inzwischen knapp unter 60 Prozent.

Was hat die Umwelt davon?

Harald Schmidt betont in seiner Sendung: Er trenne den Müll schon lange, er werfe die Dosen aus dem linken Autofenster, die Flaschen aus dem rechten. Diese populäre Form der Müllbeseitigung ist bald vorbei, die Vermüllung der Landschaft insbesondere mit Dosen wird mit dem Pfand rasch ein Ende finden. Selbst wenn Besserverdienende wie Schmidt künftig weiter wie gehabt trennen, werden sich Leute finden, die die Dosen einsammeln und abgeben, um sich das Pfand zu verdienen. Die Deutsche Umwelthilfe sammelte fünf Tage probeweise in Berlin und bekam 600.000 Dosen zusammen – obwohl sie nur 5 Cent pro Dose zahlte. Eine saubere Landschaft ist also der größte Gewinn.

Der Hauptzweck des Pfandes soll die Stützung des Mehrwegsystems sein – und damit weniger Verbrauch von Energie und Ressourcen. Verglichen mit anderen Umweltproblemen fallen Getränkeverpackungen allerdings kaum Gewicht. Viel wichtiger ist der symbolische Gehalt: Mehrwegflaschen sind ein Symbol fürs Recycling und die Produktverantwortung der Hersteller. Wenn die Kunden ihre Flaschen nicht zurückgeben, können sie kaum erwarten, dass der Handel ihnen Kühlschränke, Batterien und Autos abnimmt. Der Kampf um die Dose war ein Stellvertreterkrieg ums Recycling schlechthin.

Wie reagiert die Wirtschaft?

Erleichtert, zumindest die mittelständische Industrie. Die kleinen Mineralbrunnen und Bierbrauer können sich in der Regel nicht mehr als eine Abfüllanlage leisten und haben sich allesamt für Mehrweg entschieden – vertrauend auf die Verpackungsverordnung. Seit nun der politische Streit tobt, haben viele Spediteure und Fachgroßhändler von Mehrwegflaschen ihre Investitionen zurückgestellt. Auch sie atmen auf.

Ganz anders die Braukonzerne und großen Handelsketten. Firmen wie Karlsberg, Wernesgrüner, Bitburger, Dortmunder Actien-Brauerei sowie Rewe, Aldi und Plus haben sechs Monate lang vor dem Verwaltungs- und Oberverwaltungsgericht gegen das Pfand prozessiert. Sie haben massiv auf Einweg gesetzt und wollen nun vors Bundesverfassungsgericht ziehen. Erfolg ist dort keiner zu erwarten, nicht einmal ein Aufschub. Denn bereits das OVG hat klar festgestellt, dass es keine verfassungsrechtlichen Gründe gegen das Pflichtpfand erkennen kann.

Wer hat den Streit übers Pfand eigentlich gewonnen?

Eigentlich gibt es nur Verlierer. Die mittelständische Industrie hat verloren, weil die Einführung des Pflichtpfandes ein ganzes Jahr verschoben wurde. In dieser Zeit sank die Mehrwegquote weiter erheblich ab. Die Handelsriesen und Braukonzerne haben verloren, weil sie das Pfand bloß verzögern, nicht aber verhindern konnten. Der größte Verlierer ist aber das Duale System Deutschland (DSD), die „Grüne Punkt“-Firma: Sie wird künftig nicht mehr so viele Einwegflaschen einsammeln können, weil mit der Pfandpflicht auf Einwegglasflaschen ein Großteil des Glasmülls getrennt gesammelt wird. Dadurch entgehen dem DSD eine Viertelmillion Euro pro Jahr. Zudem wird das Glasrecycling durch die kleineren Mengen unwirtschaftlicher.

Verlierer ist auch der Bundesrat, der sich mit seiner Verpackungsnovelle nicht durchsetzten kann. Trittin hat zwar am Ende eine Regelung erreicht, die seinen Vorstellungen sehr nahe kommt. Eine Novelle der Pfandpflicht, die die ökologisch günstigen Tetrapaks für alle Zeit ausnimmt, konnte aber auch er nicht durchsetzen.

So heißt der einzige wirkliche Gewinner am Ende Klaus Töpfer. Die umständliche Verordnung des ehemaligen Umweltministers hat alle Querelen überlebt.