Die Oppositon bangt um ihren Frühling

Für Samstag ist eine Großdemonstration gegen Berlusconi geplant. Das Attentat könnte vom Protest gegen den Premier ablenken

ROM taz ■ Ziemlich erstaunt tat Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi letztes Wochenende am Rande des EU-Gipfels. Warum die Gewerkschaften gegen ihn streiken wollten, könne er sich gar nicht erklären. An den bescheidenen Eingriffen, die er beim Kündigungsschutz plane, könne es jedenfalls nicht liegen. Dann setzte Berlusconi sein siegesgewisses Lächeln auf und erging sich in dunklen Andeutungen: Wenn die Verbände schon zum Ausstand riefen, dann sollten sie sich nicht wundern, wenn er ihnen „wirkliche Gründe für einen Streik“ liefere.

Auch wenn der Regierungschef mit schnoddriger Drohgebärde Selbstsicherheit vorspiegelt, hat er Grund zur Sorge: Bereits 1994 trugen die Gewerkschaften mit Massenprotesten gegen die damalige Rentenreform nicht unerheblich zum Sturz seiner ersten Regierung bei. Doch zu Berlusconis Wahlversprechen einer „Italienischen Revolution“ gehörte auch die Ankündigung, die Gewerkschaftsmacht zu brechen. Da schien sich der Kündigungsschutz als ideales Terrain anzubieten. Hatten nicht schon die Mitte-links-Regierungen die zu „rigiden“ Vorschriften für die hohe Arbeitslosigkeit verantwortlich gemacht? Und konnte nicht Berlusconi darauf zählen, dass sich der größte Gewerkschaftsbund, die linke CGIL, mit den beiden kleineren Brüdern – der CISL und der UIL – überworfen hatte?

Italiens Arbeitgebern ist vor allem ein Dorn im Auge, dass die Arbeitsgerichte bei ungerechtfertigten Kündigungen bindend die Wiedereinstellung des Entlassenen anordnen können. Hier setzte Berlusconis Reform an: Für einige Gruppen sollte der bisherige Schutz nicht mehr gelten – zum Beispiel für Neueingestellte in Kleinbetrieben, die mit der Neueinstellung die Zahl von 15 Beschäftigten überschreiten und damit in den Geltungsbereich des italienischen Betriebsverfassungsgesetzes rutschen. Ganz wie von Berlusconi vorhergesehen spalteten sich die Gewerkschaften im Streit über den Vorschlag: Die CGIL erklärte ihn für nicht verhandelbar – CISL und UIL dagegen zeigten sich dialogbereit.

Die Isolierung der CGIL erwies sich schnell als Pyrrhussieg. Deren Streiks nämlich fanden eine überraschend hohe Beteiligung – und die Mobilisierung zur Großkundgebung am kommenden Samstag wurde zum Selbstläufer. Schon sind 8.000 Busse gebucht, dazu gut 50 Flugzeuge und mehrere Fähren aus Sizilien und Sardinien. Italien erwartete eine der größten, wenn nicht die größte Kundgebung seit Jahrzehnten. Nicht nur die CGIL kommt nach Rom: Die Demo wird zum Stelldichein aller politischen und gesellschaftlichen Oppositionskräfte im Land.

Die Kundgebung in Mailand am 23. Januar, die folgenden Menschenketten quer durchs Land, dann die große Demo der „Ölbaum“-Parteien am 2. März in Rom mit 500.000 Teilnehmern hatten es gezeigt: Es regt sich Widerstand in Berlusconi-Land. Und der Frühling der Opposition fand schnell seinen Fokus: Rom, 23. März. Ob No-Globals, ob bürgerlich-intellektuell geprägte Anti-Berlusconi-Initiativen, ob Ölbaum-Parteien oder die feindlichen Brüder von Rifondazione Comunista – alle wollen kommen.

Schließlich knickten auch die beiden kleineren Gewerkschaftsbünde ein und vereinbarten mit der CGIL Gespräche über einen gemeinsamen Generalstreik im April. Doch wenige Stunden vor dem gestern geplanten Treffen ihrer Vorstände fielen die tödlichen Schüsse auf Marco Biagi. So kam es schon gestern zu einem eilig anberaumten landesweiten Ausstand von zwei Stunden. Der aber galt nicht mehr der Regierungspolitik, sondern dem Protest gegen den Terror.

MICHAEL BRAUN