„Vergessen Sie nicht, meine Damen, die Katze ist ein Kater“

Der soeben erschienene Roman „Die Memoiren des Miez“ von Regina Henscheid – gelesen und besprochen von einem Quartett literarisch versierter Pelzträgerinnen

Milkling (11 Jahre): dominante, aber umgängliche Wohnungsdame mit großem Literaturwissen.Winkel (10 Jahre): scheue, doch anlehnungsbedürftige, lebenserfahrene und mitunter fauchige ehemalige Straßentigerin.Khyra (5 Jahre): selbstbewusste, weltoffene, belesene Genießerin.Luzie (1 Jahr): ungestüme, jugendlich schwärmerische und leicht verkicherte Unschuld vom Lande.

Milking: Bitte, meine liebe Khyra, beginnen Sie doch, und stellen Sie uns das Buch vor.

Khyra: Danke schön. Eigentlich mache ich seit langem einen großen Bogen um diese so genannten Katzenbücher. Dahinter verbergen sich zumeist deprimierende Machwerke, die nur die schrecklichsten Themen behandeln, gesunde Ernährung, Arztbesuche und Entwurmung. Denken Sie nur an die albernen Titel: „Unsere Wohnungskatze“, „Ich und mein Tier“ oder „Der neue Hausgenosse“. Das ist nicht meine Welt, und ich denke, es ist auch nicht Ihre Welt, meine Damen. Bisher diente die Katzenliteratur vor allem dazu, uns zu beleidigen, uns zu Objekten …

Luzie: Lustobjekte, hihi.

Khyra: … zu degradieren. Deshalb kann ich die „Memoiren des Miez“ gar nicht hoch genug loben. Es ist ein seltenes und kostbares Buch. Ein gänzlich neuer Ton ist in der Katzenliteratur vernehmbar geworden. Hier kommt die Katze selbst zu Wort.

Luzie: Es ist ein Kater, der das erzählt. Miez ist ein Kater.

Milkling: Meine Damen, bitte! Fahren Sie fort, Khyra.

Khyra: Also: Miez heißt eigentlich Minnie, nennt sich selbst allerdings „Miez, Edler von Bär“. Auf das Namens- und Wortfindungsproblem müssen wir später noch einmal eingehen.

Milkling: Und müssen dann auch den Bezug zur Oper klären, der Name „Putschi“ fällt ja häufig. Dieser doch etwas ungebildete Kater Miez weiß schon wenig. Es handelt sich dabei nicht um irgendeinen „Putschi“, sondern um den Komponisten Puccini, von dem die Großen sprechen. Aber zuerst zur Handlung!

Khyra: Miez lebt mit seinem kleinen Bruder Ramirez bei den zwei Großen.

Luzie: Die zwei Großen sind auch Brüder.

Winkel: Ach was! Das sind sie selbstverständlich nicht, sondern ein Paar, genauer: ein Mann und eine Frau, Menschen eben.

Khyra: Genau. Miez und Ramirez werden, wir alle kennen das Problem, von ihrer Mutter weggeholt, um bei den Großen zu leben. Die Frau und der Mann haben nicht nur eine, sondern mehrere Wohnungen. Dort und auf ihren ausgedehnten Reisen erleben Miez und Ramirez …

Winkel: Moment! Lassen wir Miez doch selbst zu Wort kommen: „Haben Sie schon einmal von einem derart aufregenden und abwechslungsreichen Leben gehört wie dem unsrigen … Unser Leben taumelt von einer Sensazion zur anderen.“

Khyra: Sie kriechen unter den Schrank, Miez begegnet einem Bären, sie jagen eine Maus, werfen allerlei Dinge von Tischen herunter und fangen Tropfen in einer Kloschüssel.

Luzie: Fast ein Actionroman. Mit dem jungen Helden Ramirez. Er ist beim „Würschtelspringen“ immer der Sieger.

Milkling: Aber, um die Grillen unser jungen Kollegin einzufangen, Ramirez spielt selbstverständlich den passiveren, den durchaus dümmeren Part.

Winkel: Miez hat eindeutig die Leitung übernommen.

Milkling: Genau wie bei den Vorbildern in der Puccini-Oper: „Das Mädchen aus dem goldenen Westen“. Der Räuber Ramirez muss auch jedes Mal von der Saloonbesitzerin Minnie gerettet werden. Ein sauberes Paar.

Khyra: Aber das findet Minnie-Miez ja nie raus, wie überhaupt für Miez bis zuletzt vieles rätselhaft bleibt: was Musik ist, was die Großen tun, wenn sie lachen oder das Haus verlassen.

Winkel: Miez sucht nach Worten, um seine Welt und alles darin zu umschreiben, denken Sie an den „Flatterer“ oder den „Stachler“ oder die „Anten“.

Luzie: Hat eigentlich jemand verstanden, was „Anten“ sind?

Milkling: „Anten, Anten, brave Anten“, ein Zitat, meine Liebe, aus einer berühmten Novelle der Weltliteratur. Wir konstatieren also, dass die „Memoiren“ einem literarischen Prinzip folgen: über die Wortschöpfung und das Zitat die Realität erfinden, und die Realität findet in der Literatur statt, auch für uns Katzen.

Luzie: Das ist mir jetzt zu hoch. Mir gefällt viel mehr, wenn Miez eine Frage stellt, die wir alle kennen: Warum schnurren die Großen eigentlich nicht?

Khyra: Da sind wir bei einem entscheidenden Punkt, die Darstellung der Menschen. Viel erfahren wir ja nicht über sie, Miez ist doch reichlich selbstverliebt und schreibt meist über sich, ja alle Taten beleuchten seine Größe und Schönheit und …

Milkling: Vergessen Sie nicht, meine Damen, es ist ein Kater, der hier seine Schnurren erzählt.

Luzie: Aber ein Kater mit Witz.

Winkel: Und einer ästhetischen Sprache: „Das Bett war schon ein wenig vertraut. Von R. kamen bereits die langen tiefen Schlafschnaufer.“ Das ist schön.

Khyra: Die Menschen, sie sind schon eigentlich unentbehrlich – vor allem die Frau ist gar nicht wegzudenken. Sie sorgt für das Futter, und in ihrer Kniekehle kann man sich warm betten. Während der Mann etwas grob zu sein scheint, ja Miez wie auch Ramirez arg anknubbelt.

Winkel: Er muss aber doch ein Heiliger sein, so entrückt wie er seiner Musik und Literatur und solchen Dingen nachgeht.

Khyra: Die Frau mag ihn schon sehr, wenn auch Miez noch mehr. Was zu beobachten ist, als Miez wegläuft und die Frau sich um ihn sorgt und sich freut, als er wieder auftaucht.

Luzie: Und am Ende küssen sie sich sogar. Ramirez und die Frau geben sich ein Nasenküsschen.

Milkling: Es ist das von der Frau zum Schluss angesprochene Motiv der Erlösung. Wir, meine Damen, wir erlösen die Menschen von ihrem Leid.

Luzie: Das ist doch, das ist doch mausmäßiger Unsinn.

Winkel: Und großer Humor.

AUFGEZEICHNET VON MICHAEL

RINGEL UND HEIKE RUNGE

Regina Henscheid: „Die Memoiren des Miez“. Roman. Kindler Verlag, München 2002, 157 Seiten, 14,90 Euro