Lifestyle statt Kultur

Die Berliner „Zitty“ wird 25 Jahre alt. An den Anfang als Zeitschrift für alternative Kultur erinnert nicht mehr viel – wie bei vielen Stadtmagazinen

von MARKUS MÜNCH

Geleimt, nicht geheftet. Und bitte auf Hochglanzpapier – sonst rümpfen die potenziellen Anzeigenkunden die Nase. So geht es vielen Stadtmagazinen, die sich nicht in so einer günstigen Konkurrenzsituation befinden wie die Zitty, das Geburtstagskind aus der Holtzbrinck-Gruppe. Denn das 25 Jahre alte Stadtmagazin ist nicht nur das zweitgrößte Kaufmagazin seiner Art in Deutschland, sondern mit der Nummer Eins, dem Berliner Tip, gleich mehrfach verbündet: Der Programmteil mit Veranstaltungstipps für zwei Wochen kommt aus ein und derselben Redaktion, und auch die Anzeigen werden gemeinsam akquiriert.

Denn Zitty und Tip bilden (zusammen mit dem Gratisblatt [030]) die „Berlin Connection“ – Anzeigenkunden können über sie in allen drei Zeitungen auf einen Schlag werben. Holtzbrinck und der Tip-Eigner Gruner+Jahr wirtschaften in diesem Segment des sonst so heiß umkämpften Berliner Marktes friedlich nebeneinander. Bei den Lesern hingegen ist es oft eine Glaubensfrage, ob sie lieber die alternativ anmutende Kreuzberger Zitty (geheftet und mit grauem Papier) lesen oder zum geleimten Tip greifen, dessen Redaktionsräume sich unmittelbar neben dem konservativen Tagesspiegel in Berlin-Tiergarten befinden.

Kampf um die Anzeigen

In anderen deutschen Städten ist die Koexistenz nicht so einfach, oft kämpfen Kauftitel und Gratisblätter ebenso um Leser wie Anzeigenkunden. So liefern sich in Hamburg etwa das Magazin OXMOX und die Szene einen stetigen Konkurrenzkampf. Während die 26 Jahre alte OXMOX traditionell stärkeren Wert auf Musik legt, spielt bei der Szene die regionale Berichterstattung, auch über die Stadtgrenzen hinaus, eine größere Rolle. Auch bei den wertvollen Anzeigen überregionaler Kunden stehen die beiden Magazine seit Anfang des Jahres in härterer Konkurrenz: OXMOX gehört zur „Megakombi“, die Szene zu den „United City Mags“. Diese „Kombis“ stellen Zusammenschlüsse regionaler Magazine dar, die sich gemeinsam Anzeigenkunden anbieten – ähnlich dem in Berlin praktizierten Modell. Im Verbund der „Kombi“ erreichen sie leichter bundesweite Unternehmen, wie zum Beispiel die Deutsche Bahn. Lange Zeit waren die wichtigsten Magazine – Zitty, tip und Szene – auch Mitglied der „Megakombi“, die jetzt noch aus 40 Titeln besteht, unter anderem der Kölner StadtRevue, der MARABO aus dem Ruhrgebiet, der Leipziger Kreuzer und der Münchner GO.

Im Gegensatz zur „Megakombi“ hat „United City Mags“ auch Gratiszeitungen wie den Bochumer coolibri ins Programm aufgenommen. Die seien in manchen Städten einfach wichtiger, sagt Kundenberater Gerd Thomas. Warum mindestens einen Euro zahlen, wenn es kostenlos geht? Das Umsonst-Heft INmünchen verbucht in der bayerischen Landeshauptstadt eine verbreitete Auflage von 86.000 Exemplaren – mehr als die Konkurrenten GO und Prinz zusammen. Auch inhaltlich stehen viele Gratisblätter den Bezahlzeitungen in nichts nach. Die Kauftitel müssen sich also was überlegen. Der Prinz hat sich deshalb mit der Märzausgabe erklärtermaßen aus der Ecke der Stadtmagazine verabschiedet. „Your Personal Activity Guide“ lautet jetzt der Untertitel, und Chefredakteur Rainer Thide betont: „Wir wollen ein Lifestyle-Magazin für eine junge, urbane Zielgruppe sein, kein Datendienst.“ Während die Zitty beispielsweise stolz darauf ist, jeden neu startenden Kinofilm, jedes Theaterstück und jede Ausstellung zu besprechen, will der Prinz seinen Lesern nur noch „das Beste“ empfehlen, so Thide. Die Titelseite des Prinz sieht zwar bundesweit gleich aus, seine regionale Verankerung will das Magazin trotzdem nicht aufgeben: Für die wichtigsten deutschen Großstadtregionen gibt es nach wie vor eigene Inhalte.

Kulturelle Einfalt

Außerdem will der Prinz eine jüngere, konsumfreudigere Leserschicht ansprechen – so wie bundesweit immer mehr Magazine ihrem alternativen Ursprung in den 70er-Jahren zu entrinnen versuchen, als kulturelle Vielfalt und Randständiges angesagt waren. Besonders in München ist damit offenbar kein Geschäft mehr zu machen. Die GO ist vor einem Jahr aus dem Münchner entstanden und hat sich selbst einen „lifestyligeren“ Anstrich verpasst. Mit einem moderneren Layout und der Auswahl von Themen aus dem Mode- und Trendbereich wollte sie sich neu positionieren und unter dem neutralen Namen GO auch in anderen Städten Fuß fassen. Doch die Expansion war nicht erfolgreich, im Herbst zog sich GO wieder auf München zurück. Dort zeigt s.e.p.p. (Magazin für „szene/entertainment/people/places“), dass der Münchener Markt mehr Style braucht als andere deutschen Großstädte. Auf Hochglanzkarton verkauft es sich für satte 3,80 Euro. Der praktische Gebrauchswert in der Kulturszene ist gleich Null – Wellness, Design und Shopping hingegen werden groß geschrieben.

Politik sucht man bei s.e.p.p. vergebens, und bei den meisten anderen Stadtmagazinen muss man zumindest sehr genau hinsehen, um Spuren davon zu finden. Dabei war die alternative Betrachtung der Lokal- und Kulturpolitik bei den 20 bis 30 Jaher alten Magazinen oft Gründungsanlass. Doch in dem Bereich mit den häufiger erscheinenden Medien mithalten zu können, wäre für die monatlichen Stadtmagazine ohnehin nicht leicht. Immerhin wagt es die Zitty, noch häufiger, ein politisches Thema – wie den Berliner Wahlkampf im letzten Herbst – auf die Titelseite zu bringen und den Modells auf den anderen Covern damit Komkurrenz zu machen. Dass sie, genau wie der Tip, alle zwei Wochen erscheint, hat aber nicht mit dem Wunsch nach mehr Aktualität zu tun. Beide Magazine wollen den TV-Illustrierten Konkurrenz machen und drucken auch das Fernsehprogramm ab – für die Leser, die sie eigentlich nie im Visier hatten: die berieselungsfreudigen Stubenhocker.