Eisiger Nordwind

2:0 gegen Nürnberg. Hertha BSC gewinnt schon wieder. Doch der gemeine Fan pfeift, weil Deisler comebackt

Als die Hoffnung des deutschen Fußballs eingewechselt wurde, steckten die Fans von Hertha BSC ihre Finger in den Mund und pfiffen. Gellend. Lang anhaltend. Sebastian Deisler kehrte nach 162 Tagen zurück, für eine Viertelstunde. Ein Großteil der 37.363 Zuschauer im Berliner Olympiastadion bereitete ihm einen Empfang, eisiger als der böige Nordwind, schneidender als so manche Beleidigung in seiner Karriere. Statt Anfeuerung formierten sich wütende Sprechchöre. Der für Deisler ausgewechselte Brasilianer Marcelinho wurde trotz eines verschossenen Elfmeters gefeiert. Die Botschaft: Basti, wir lieben dich nicht mehr!

Das Ausmaß des Unmuts überraschte Deisler. „Ich hätte ehrlich gesagt nicht damit gerechnet, dass es so viele sind“, sagte der 22-Jährige. Viele Anhänger haben ihm den anstehenden Wechsel zu Bayern München sowie die Posse um die Millionenüberweisung des Rekordmeisters nicht verziehen. Sie war kurz nach der schweren Knieverletzung bekannt geworden, die sich Deisler am 13. Oktober gegen den HSV zugezogen hatte. Am Samstag schallte durchs Stadion: „Zieht dem Deisler die Lederhosen aus!“

„Ich hatte damit gerechnet, dass nicht alle meine Entscheidung akzeptieren“, meinte der Nationalspieler, schob mit Blick auf die geplante WM-Teilnahme aber alle Enttäuschung beiseite: „Das Wichtigste war, nach fünf Monaten wieder auf dem Platz zu stehen. In den letzten sechs Spielen werde ich mich für Hertha voll reinhängen.“

Die Unterstützung seines Klubs hat Deisler. Interimstrainer Falko Götz erklärte den Fans, sie würden mit ihrem Verhalten der gesamten Mannschaft schaden. Götz, vom Boulevard als der „Ergötzliche“ gefeiert, holte 19 von 21 möglichen Punkten unter seiner Regie. Auch Kapitän Michael Preetz stellte sich vor seinen Mitspieler: „Gerade er hat hier Großes geleistet.“ Manager Dieter Hoeneß ärgerte sich: „Er hat sich vor dem Wechsel 1.000-prozentig eingesetzt. Es gibt keine Veranlassung, Dampf abzulassen. Wenn wir ganz nach oben wollen, muss man sich auch in dieser Hinsicht verbessern. Das ist nicht Spitzenklasse.“

Das war auch die Hertha-Leistung gegen Nürnberg nicht, nur die Tore des formstarken Alex Alves (3./32. Minute) machten den Unterschied. Die Berliner müssen Platz 5 nun zunächst in Mönchengladbach und Wolfsburg behaupten. Nach der Heimpartie gegen Rostock entscheidet sich mit den Spielen bei den Tabellennachbarn Bayern, gegen Schalke und in Leverkusen, ob es sogar noch für die Champions League reicht.

Nürnberg hätte dem Klassenerhalt in Berlin näher kommen können. Entsprechend ärgerte sich Trainer Klaus Augenthaler nach der vierten Pleite in Serie: „Wir haben uns vor dem Tor verhalten wie das Kaninchen vor der Schlange.“ Einen wie Deisler könnte er gut gebrauchen, denn dem Club steht vor dem Saisonfinale auf St. Pauli ein nahezu identisches Restprogramm bevor wie der Hertha mit ihrem verschmähten Jungstar.

DPA/TAZ