Abschiebung in die Sozialhilfe

Die geplante Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe führt zur Verarmung vieler Familien. Notwendig wäre die Einführung einer sozialen Grundsicherung

Wenn Leistungen für Erwebslose gebündelt werden, dann unter dem Dach der Arbeitslosenversicherung

Keine Frage: Das Ende der Arbeitslosenhilfe steht unmittelbar bevor. Arbeitgeber, FDP und CDU/CSU fordern unverblümt, sie ganz abzuschaffen. Die rot-grüne Bundesregierung formuliert (noch) zurückhaltend und spricht von „Zusammenlegung“ der Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Doch läuft auch das letztlich darauf hinaus, die Arbeitslosenhilfe abzuschaffen. Denn „Zusammenlegung“ kann nur heißen: Empfänger von Arbeitslosenhilfe werden in die Sozialhilfe abgeschoben – schließlich können nicht Sozialhilfe beziehende Kinder oder Rentner in die Arbeitslosenhilfe integriert werden. Rot-Grün will die öffentlichen Haushalte bis 2004 nahezu ausgleichen, ohne mehr Steuern und Abgaben von den Bürgern zu verlangen. Aus diesem Sparkurs – und nicht etwa aufgrund fehlender materieller Möglichkeiten in diesem reichen Land – erwächst zwangsläufig Druck auf die Arbeitslosenhilfe.

In der aktuellen Kontroverse werden die Überschneidungen zwischen Arbeitslosen- und Sozialhilfe drastisch überzeichnet. 1,46 Millionen Erwerbslose beziehen Arbeitslosenhilfe. Laut Sozialhilfestatistik erhalten aber „nur“ 228.000 Erwerbslose gleichzeitig Leistungen vom Arbeitsamt und ergänzende Sozialhilfe. Selbst wenn eine gewisse Dunkelziffer eingerechnet wird, haben trotzdem rund 80 Prozent der Arbeitslosenhilfebezieher keinen Anspruch auf Sozialhilfe. Diese überwiegende Mehrheit hätte erhebliche Einkommensverluste hinzunehmen, wenn die Arbeitslosenhilfe abgeschafft würde.

Dazu ein Beispiel:

Achim verdiente früher 1.728 Euro netto, jetzt bezieht er Arbeitslosenhilfe in Höhe von 919 Euro. Seine Partnerin Silvia verdient 629 Euro netto. Dieser Verdienst wird nicht auf Achims Arbeitslosenhilfe angerechnet. Das Haushaltseinkommen der Familie einschließlich Kindergeld (154 Euro) beträgt also 1.702 Euro. Wenn die Arbeitslosenhilfe abgeschafft würde, wäre die Familie sozialhilfebedürftig. Silvias Lohn und das Kindergeld liegen zusammen unter dem Sozialhilfebedarf für eine dreiköpfige Familie. Im Sozialhilfebezug sinkt das Haushaltseinkommen um 222 Euro (!) im Monat. Hinzu kommt, dass im Sozialhilfebezug keine Rentenansprüche erworben werden.

Die Arbeitslosenhilfe ist insofern die angemessenere Sozialleistung, weil sich ihre Höhe am letzten Verdienst orientiert und deutlich über den festen Sozialhilfesätzen liegen kann. Insbesondere werden aber Einkünfte wie Kindergeld und das Erwerbseinkommen des Partners gar nicht oder weniger stark angerechnet. Wer die Arbeitslosenhilfe abschaffen will, der definiert damit völlig neu, was eine soziale Absicherung für Erwerbslose leisten soll: Heute haben Lohnersatzleistungen die Funktion, das Arbeitseinkommen teilweise zu kompensieren. Dem sozialen Abstieg auf der Wohlstandsleiter werden zumindest Grenzen gesetzt. Diese Funktion wird aufgegeben. Übrig bleibt Armutsbekämpfung auf Sozialhilfeniveau. Zudem wird die Arbeitslosenversicherung insgesamt in Frage gestellt, ja ihr die Legitimation entzogen. Denn was ist von einer Sozialversicherung zu halten, die ArbeitnehmerInnen bereits nach relativ kurzer Zeit an das Sozialamt durchreicht, obwohl sie oft Jahrzehnte Beiträge einzahlten?

Vertauschen wir die Rollen aus dem Beispiel. Der besser verdienende Achim bleibt erwerbstätig und die gering verdienende Silvia bezieht Arbeitslosenhilfe. Selbst bei abgeschaffter Arbeitslosenhilfe besteht kein Anspruch auf Sozialhilfe. Achims Lohn und das Kindergeld zusammen liegen deutlich über dem Sozialhilfebedarf. Mit der „Zusammenlegung“ würde Silvias Anspruch auf Arbeitslosenhilfe von 288 Euro ersatzlos wegfallen. Erwerbslose werden somit nicht nur an ein schlechteres Sicherungssystem verwiesen, sondern vielfach mit Verweis auf das Partnereinkommen ganz aus jedwedem Sozialleistungsbezug ausgegrenzt. Das Risiko der Arbeitslosigkeit wird vollständig privatisiert.

Die Befürworter einer Abschaffung der Arbeitslosenhilfe argumentieren, es fehle aufgrund zu üppiger Sozialtransfers an Anreizen, zu arbeiten. Wird die Arbeitslosenunterstützung mit Blick auf Niedrigstlöhne gekürzt, dann bleibt jedoch für originär sozialpolitische Ziele, etwa die Sicherstellung eines gewissen Lebensstandards, kein Platz. Im Vergleich zu irgendeinem real existierenden oder von Arbeitgebern geforderten „Hungerlohn“ wird die Arbeitslosenunterstützung immer als zu hoch erscheinen.

So gesehen werden jedoch sozialpolitische Standards einer zweifelhaften Beschäftigungsstrategie untergeordnet und letztlich aufgegeben. Gleiches gilt natürlich auch für die minimale Anforderung, dass man von der Erwerbsarbeit zumindest halbwegs anständig leben können muss. Im Ergebnis werden soziale Notlagen nicht bewältigt, sondern lediglich ausgetauscht: Aus „Armut aufgrund von Erwerbslosigkeit“ wird „Armut trotz Erwerbsarbeit“.

Es gibt bessere sozial verträglichere Alternativen für eine ja durchaus notwendige Reform. Trotz aller berechtigten Kritik sind die Arbeitsämter als Fachbehörde kompetenter als Sozialämter oder lokale Beschäftigungsagenturen. Beispielsweise sind die Qualifizierungsangebote der Arbeitsverwaltung hochwertiger und bieten eher eine Perspektive. Nach dem Prinzip, soziale Notlagen entsprechend ihrer Ursache zu bewältigen, sollten die Arbeitsämter auch für erwerbslose Sozialhilfeberechtigte zuständig sein. Um die Arbeitslosenunterstützung armutsfest zu machen, brauchen wir eine in die Arbeitslosenversicherung integrierte Grundsicherung, im ersten Schritt wenigstens auf dem Niveau der Sozialhilfe, wie das bei der Rente von Rot-Grün bereits umgesetzt wurde. Lohnbezogene Leistungsansprüche werden dadurch nicht ersetzt, aber unzureichende Ansprüche auf ein existenzsicherndes Mindestniveau aufgestockt. Der zusätzliche Gang zum Sozialamt wird überflüssig.

Wer die Sozialhilfe abschaffen will, der betreibt letzlich Armutsbekämpfung auf Sozialhilfeniveau

Die SPD hat das bei der Rentenreform vorgemacht: Die soziale Grundsicherung gegen Altersarmut ist eingeführt. Für Rentnerinnen und Rentner organisiert der Rentenversicherungsträger, dass auf jeden Fall Leistungen in Höhe der Sozialhilfe ausgezahlt werden, ohne dass das Amt dann bei den Kindern wieder zurückkassiert. Damit soll versteckte Altersarmut bekämpft werden, die Kommunen bekommen einen Ausgleich für die erhöhten Sozialhilfekosten. Weder Rente noch Arbeitslosigkeit sollten zu einem Leben unter dem Sozialhilfesatz führen.

Alle Leistungen und Hilfen in einer Hand zu bündeln und allen Erwerbslosen zugänglich zu machen, das ist nur unter dem Dach der Arbeitslosenversicherung sinnvoll. Aber um eine einheitliche Absicherung geht es derzeit offensichtlich nicht. Vielmehr sollen Erwerbslose mittels gekürzter Leitungen für den viel gepriesenen Billiglohnsektor gefügig gemacht werden. Not macht erpressbar – mit negativen Auswirkungen auf das Lohn- und Gehaltsgefüge insgesamt. Dies gilt es durch gesellschaftliche Gegenwehr zu verhindern.

PIA MAIER