Der Müll, der Staat und der Tod

DAS SCHLAGLOCH von VIOLA ROGGENKAMP

Das Publikum soll klatschen, und es klatscht – eine Vereinigung dumm gefütterter Kleindarsteller

„Koscher war es nicht.“ (Hans Reimer, ehemaliger Bauunternehmer, vor Gericht in Hamburg, über Schmiergelder für Politiker bei Müllverbrennungsprojekten)„Und für Diepgen das Ruhegeld, damit er Ruhe hält.“ (Dieter Hildebrandt, Kabarettist, in seiner Sendung „Scheibenwischer“)

Aus einer Zeit, da noch nicht einmal das Flugblatt erfunden war, existieren Fresken im Innern von Kirchen, die als Juden gekennzeichnete Menschen zeigen, die mit Schweinen kopulieren. Juden in Deutschland sind es gewohnt, dass bei Schweinereien, besonders bei öffentlich gewordenen Schweinereien, wenn es darum geht, diese Schweinereien als Schweinereien zu benennen, die Anstifter und Mitmacher für ihr Bekenntnis jiddische Wörter wählen. Die Presse, Zeitungen, Radio, Fernsehen, in ihrer Absicht aufzuklären über die Frage, wer da was mit wem hat machen können, benutzen dieselben Wörter: Es wurde gemauschelt, etwas wurde verschachert, das Ganze war nicht koscher. Und in diesen Zusammenhängen wird oftmals auch „feilschen“ als jiddisches Wort aufgefasst, wohl weil es im Mund beim Aussprechen so schön schmiert und schmatzt, und natürlich hat es etwas mit Verkaufen zu tun, aber „feilschen“ kommt von „feili“, was käuflich bedeutet, und das ist reinstes Althochdeutsch.

Das Jiddische soll den Machenschaften ein bisschen die Schärfe nehmen, die krumme Sache etwas geschmeidiger machen. Einerseits. Auch ein betrügender Jude wird darum vielleicht lieber sagen, eine gewisse Steuerersparnis, eine bestimmte Subventionierung sei nicht ganz koscher gewesen, als zu bestätigen, es war nicht rechtens, es war gegen das Gesetz. Andererseits hat der Betrug in dem Augenblick, in dem er mit einem jiddischen Wort benannt wird, eine sprachliche Zuordnung bekommen, die eine Distanz schafft, und zwar zum imaginierten Bild des korrekten Deutschen, mit dem so etwas gar nicht zu machen wäre, der viel zu gerade sei, zu aufrichtig, zu steif, ja eigentlich viel zu dumm und in seiner Einfalt zu rein (koscher) für solche unsauberen Geschäfte.

Es kommt also darauf an, ob in diesem Zusammenhang ein deutscher Jude seine Zuflucht ins Jiddische nimmt, oder aber ob ein deutscher Christ (evangelisch, katholisch oder ausgetreten) durch seine Wortwahl einem Betrug einen jüdischen Nachhall gibt.

Daneben existiert die offizielle Sprache, in der von Tatbeständen gesprochen wird, von Bestechung und Korruption, und sowieso haben die Gauner unter sich ihren eigenen Jargon. Aus der Branche der Bauunternehmer für Müllverbrennungsanlagen sind jetzt zwei Wörter bekannt geworden: „beatmen“ und „anfüttern“. Warum es diese beiden Wörter sind, wissen diejenigen, die sie benutzen, nicht zu sagen. Grund genug, eine Interpretation zu versuchen.

„Beatmen“ und „anfüttern“, so nennen sie es, wenn es ihnen gelingt, einen Politiker mit Geld zu bestechen, damit er erstens im Parlament für eine Müllverbrennungsanlage votiert und zweitens dafür sorgt, dass diese Müllverbrennungsanlage von einem ganz bestimmten Unternehmen gebaut wird. Bisher klappte das offenbar wie geschmiert, weshalb wir inzwischen über Müllverbrennungsanlagen verfügen, die so wenig ausgelastet sind, zumal in deutschen Haushalten der Müll fein säuberlich sortiert und getrennt wird: Plastik hierhin, Glas dorthin, Papier woandershin, Knochen extra. Nachweislich funktioniert das nirgends so gut wie in Deutschland. Deshalb wird Müll aus Süd- und Osteuropa importiert. Sie müssen ihre Öfen mit Verbrennungsmaterial füttern. Den Betreibern geht sonst die Luft aus.

Auffallend ist die Körperlichkeit dieser beiden Wörter „beatmen“ und „anfüttern“, und das in einem Zusammenhang von Müll und Verbrennungsanlagen. Beatmet werden müsste fast Totes. Angefüttert werden müsste beinah Verhungertes. In diesen Anlagen wird Abfall zu Asche. Verwesendes, Verrottendes, nicht mehr Brauchbares – das ist Müll. Müll ist noch nicht endgültig Totes, aber es ist aus dem Lebenszusammenhang aussortiert.

Wie das Wort „bestechen“ sind auch „beatmen“ und „anfüttern“ in ihrem bildhaften Ausdruck deutlich eindringend, in den Körper hineindrängend. Etwas Lebloses, Röchelndes wird vollgepumpt, wird gemästet. Übertragen auf die Personen, die den Staat und seine Müllverbrennungsanleger repräsentieren, entsteht das Bild des scheintoten Politikers, dessen menschliche Hülle der einer Gummipuppe gleichen könnte, die aufgeblasen wird. Mit dem Geld spendenden Odem des Bestechers dringt zugleich ein gefräßiges Objekt in den trägen Leib, das sich im Wirtskörper dickfrisst und immer mehr haben will. Immer mehr Geld.

Wenn hierzulande Schweinereien als Schweinereien zu benennen sind, wählt man jiddische Wörter

Ein obszöner Akt. Das hat etwas Gemeinschaftsbildendes. Das sind die Leute gewohnt. Schamlos ist nahezu jede Nachmittags-Talkshow im Fernsehen, wo Moderatoren und Moderatorinnen ihren Gästen die Seele aus dem Leib saugen, um damit ihr Publikum zu beatmen. Das Publikum im Fernsehstudio klatscht dazu in die Hände. Dazu wird es aufgefordert. Es ist eine Vereinigung von dumm gefütterten Kleindarstellern geworden, die entschlossen sind, für alles einen Spitzenapplaus zu produzieren. Das machen sie. Sie müssen keine gute von einer schlechten Pointe unterscheiden können, denn ihr Lachen kommt aus der Tonkonserve, eine Wiederaufbereitungsanlage spontaner Zustimmung. Die da lachen, haben dem, wozu ihr Gelächter ertönt, nie zugehört und zugesehen.

Die wichtige Differenz zwischen denjenigen, die etwas tun, und denjenigen, die zuschauen und über die Möglichkeit verfügen, darüber ihr Missfallen auszudrücken oder ihre Zustimmung, sei es durch Buhrufe oder durch Applaus, diese Differenz scheint aufgehoben zu sein durch etwas vermeintlich Einsichtiges: Alles was geschieht, ist vorher abgesprochen worden. Alles ist inszeniert. Das positive Abstimmungsergebnis im Bundesrat für das Zuwanderungsgesetz? War vorbereitet. Darüber die aufrichtige Empörung der Oppositionspolitiker – Theater. Und gar nicht mal schlecht gespielt. Gehen nicht sowieso alle davon aus, dass sie betrogen werden? Na also. Dann kann niemand mehr betrogen werden. Applaus! Applaus!

Eine Supersendung. Mitglieder beider großen Volksparteien, ob Christdemokraten oder Sozialdemokraten, Glieder beider politischen Körperschaften stecken tief drin und geben währenddessen Ehrenerklärungen ihrer Unschuld ab. Das Publikum sieht zu. Es anerkennt die Vielseitigkeit. Es versteht und weiß selbst um die Gier. Es bestaunt die Unverfrorenheit. Anfangs meinte man zu wissen, wer wen beatmet. Der Bauunternehmer den Politiker. Dann begriff man: Es stimmt auch umgekehrt. Der Bestochene beatmet den Bestecher. Dick wird, wer anfüttert. Der Müll und der Staat vereinigt miteinander. Dabei kommen viele Verbrennungsanlagen heraus. Am Ende wird niemand bestraft. Hinterher erhalten alle ihre Pension. Bis zum Tod.