: „Bloß nicht in Karlsruhe anrufen“
Tipps vom Hannoveraner Staatsrechtler Hans-Peter Schneider für Bundespräsident Johannes Rau: Das Zuwanderungsgesetz sollte er von zwei konkurrierenden Gutachtern beurteilen lassen – und vor allem jeden Eindruck der Mauschelei vermeiden
Interview CHRISTIAN RATH
taz: Herr Schneider, das Zuwanderungsgesetz wird jetzt von Bundespräsident Rau überprüft. Was hat er konkret zu untersuchen?
Hans-Peter Schneider: Er muss prüfen, ob das Gesetz „nach den Vorschriften des Grundgesetzes zustande gekommen“ ist. Dazu gehört auf jeden Fall die hier umstrittene Frage, ob es im Bundesrat tatsächlich eine Mehrheit für das Zuwanderungsgesetz gegeben hat.
Wie soll Bundespräsident Rau, der ja kein Jurist ist, diese verzwickte Rechtsfrage entscheiden?
Er kann sich zum Beispiel verfassungsrechtlichen Sachverstandes bedienen. Das haben auch andere Bundespräsidenten gemacht. So ließ sich etwa in den 80er-Jahren Richard von Weizsäcker vom Freiburger Staatsrechtler Konrad Hesse beraten, als es ebenfalls um die Verfassungsmäßigkeit eines auszufertigenden Gesetzes ging.
Und der Bundespräsident würde dann seinem Gutachter einfach folgen?
Im vorliegenden Fall läge es nahe, zwei Gutachten zu vergeben, damit die Argumente beider Seiten vollständig präsent sind.
Das macht die Entscheidung für Johannes Rau aber nicht gerade leichter …
Das stimmt. Aber er hat ja in seinem Amt auch ein Referat für Verfassungsfragen, in dem hoch qualifizierte Juristen sitzen.
Könnte Rau auch beim Bundesverfassungsgericht anrufen und sich dort beraten lassen?
Um Gottes willen, bloß nicht! Solche Telefonate von Verfahrensbeteiligten sieht man in Karlsruhe gar nicht gern. Das hat Jutta Limbach erst jüngst im NPD-Verfahren erklärt. Außerdem wäre so ein Anruf auch sinnlos. Solange der zuständige Senat nicht über die Frage beraten hat, könnte ein einzelner Richter gar keine verlässliche Auskunft geben. Und die Möglichkeit, ein offizielles Gutachten des Bundesverfassungsgerichts einzuholen, wurde 1956 abgeschafft.
Damit Karlsruhe das Gesetz prüfen kann, muss Rau es also erst mal unterzeichnen?
Ja. Zuerst muss er aber den Sachverhalt bewerten, das ist seine Pflicht. Wenn jedoch das Ergebnis nicht eindeutig ist, dann spricht viel dafür, dass er das Gesetz unterzeichnet – ohne sich in der Sache festzulegen –, um den Weg nach Karlsruhe freizumachen, was zugleich für alle künftigen Fälle Klarheit schaffen könnte.
Gibt es Beispiele für ein derartiges Vorgehen?
Ja, an einem Fall war ich sogar selbst beteiligt. Mitte der 90er-Jahre beriet ich den damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder, als es um eine Novelle des Atomgesetzes ging. Schröder hielt sie für verfassungswidrig und bat den damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog, das Gesetz nicht auszufertigen. Herzog schrieb zurück, dass Schröders Auffassung gut vertretbar sei, er aber das Gesetz unterzeichnen werde, um eine Prüfung durch Karlsruhe zu ermöglichen.
Wie viel Zeit hat Rau?
Es gibt keine festen Fristen. Aber da Karlsruhe genug Zeit haben sollte, den Fall vor Inkrafttreten des Gesetzes am Jahreswechsel zu behandeln, wäre es gut, wenn der Bundespräsident seine Prüfung in drei Monaten abschließen könnte. Er kann allerdings erst mit der Arbeit beginnen, wenn ihm der Vorgang von der Bundesregierung zugeleitet wurde, also in etwa zwei Wochen.
Setzt die Union den Bundespräsidenten unzulässig unter Druck, wenn sie schon mit dem Gang nach Karlsruhe droht?
Nein, so etwas ist politisches Tagesgeschäft und wird den Bundespräsidenten mit Sicherheit nicht beeinflussen.
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