Das Publikum ist ein Stier

Dominique Horwitz' melancholisches Jacques Brel-Programm zum vorläufig letzten Mal in den Kammerspielen  ■ Von Christian Rubinstein

Der Bühnenauftritt ist dynamisch: Noch im Dunkeln kommt Dominique Horwitz auf die Bühne und geht schnellen Schritts zum Mikrofon. Mit „Madeleine“ startet er in den Gesangsabend. Das Lied erzählt die Geschichte vom unsterblich Verliebten, der jeden Abend vergeblich auf seine Angebetete wartet.

Für Horwitz sind die Auftritte in den Kammerspielen längst ein Heimspiel. Der Applaus ist bereits nach dem ersten Stück enthusias-tisch. Zum 100. Mal wurde das Programm Dominique Horwitz singt Jacques Brel am letzten Dienstag in den Hamburger Kammerspielen aufgeführt. Inklusive Tourneen sind es seit September 1997 fast schon doppelt so viele Auftritte. Im März diesen Jahres hatte eine Neufassung Premiere; vorläufig letzte Vorstellung ist am 1. April. Efim Jourist, musikalischer Leiter der Produktion, hat für diese Version zwölf unbekanntere Brel-Chansons neu arrangiert. Der gebürtige Russe ist im fünfköpfigen Begleitensemble auch für die virtuose Handhabung des Knopfakkordeons zuständig. Seit die neuen Stücke ins Programm integriert wurden, liegt der Schwerpunkt auf den späteren Liedern des französischen Chansonniers. Über ihnen liegt eine starke Schwermut. Sie handeln von der Einsamkeit am Ende des Tages und der Grausamkeit, einen Freund weinen zu sehen. Brel starb 1978 an Lungenkrebs und war zuletzt von der Krankheit gezeichnet. Nach einer Operation 1974 hatte er sich auf eine Weltreise per Segelschiff begeben. Seine letzte Schallplatte Brel hat er drei Jahre später wegen Atembeschwerden nur noch mit Mühe aufnehmen können. Die Lieder wirken oft genug wie ein musikalischer Aufschrei gegen die Depression des Lebens. Ein Brel-Zitat aus dem Programmheft beschreibt dessen Antrieb, Gefühle künstlerisch zu verarbeiten: „Es gibt Dinge, die man nicht einem Menschen allein, die man nur 2000 Leuten sagen kann.“ In einem anderen Zitat vergleicht er das Publikum mit einem Stier. Dominique Horwitz packt diesen Stier allabendlich bei den Hörnern. Jedes Lied ist von Gesten und Gesang her durchinszeniert. Wenn er von den dekadent gelangweilten Nachtschwärmern singt, setzt er eine Sonnenbrille auf und schwingt blasiert die Hüften. Ist von einem Bourgeois die Rede, sucht er sich einen imaginären Spießer im Publikum, dem er mit der Faust Schläge anbietet. Der Theateraspekt ist es, der den Schauspieler Horwitz an den Chansons interessiert: „Brel hat Drei-Minuten-Theaterstücke geschrieben.“

Schon in den achtziger Jahren hat Horwitz in München seinen ers-ten Brel-Abend gesungen. Damit hat er sich so profiliert, dass ihm später am Hamburger Thalia Theater die teuflische Traumrolle in Black Rider angeboten wurde. Von dem damit erreichten Bekanntheitsgrad profitiert er heute. Er hat sich mit einer Produktionsgesellschaft selbständig gemacht. Mit ihr bringt er Theaterprojekte an verschiedenen Orten in Hamburg und eben die Musikproduktionen he-raus.

Langweilig werden ihm die Brel-Chansons dank des erweiterten Repertoires nicht. „Wenn sich ein Lied bei mir anfängt abzunutzen, wird es ausgewechselt.“ Mit der Neufassung versucht Horwitz, sich dem reiferen Brel anzunähern, der wusste, dass er sterben würde. Gedanken, die auch mit dem eigenen Lebensalter zu tun haben. „Mit 44 bin ich dem Abschied näher als mit 27 beim ersten Liederabend.“

Das Kammerspiel-Publikum war trotz der Melancholie der Stü-cke bei der 100. Vorstellung begeis-tert. Auch die Musiker hatten Spaß an dem Jubiläum und strahlten um die Wette. Nach den normalen Zugaben gab es noch ein Extra. Horwitz sang als Welturaufführung „Ne me quitte pas“ auf bayerisch. Wenn er die Aussprache von „Loas mi net aloan“ noch ein bisschen übt, kommt er damit in die Charts.

weitere Aufführungen: täglich bis 1. April, jeweils 20 Uhr, Kammerspiele