Schönbohms riskantes Schweigen

Dreimal bat Bundesratspräsident Klaus Wowereit am letzten Freitag das Land Brandenburg um ein eindeutiges Votum zum Zuwanderungsgesetz. Jetzt streiten sich SPD und Union, ob Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) oft genug „Nein“ gesagt hat

von NICOLE JANZ
und LUKAS WALLRAFF

Nachdem sich der erste Pulverdampf bei der Abstimmung über das Zuwanderungsgesetz gelichtet hat, konzentriert sich der Streit zwischen SPD und Union auf eine Frage: Inwieweit hat die Union selbst zu ihrer Niederlage in der Abstimmung am Freitag beigetragen? Bisher gaben CDU und CSU die Schuld am Ausgang der Abstimmung Bundesratspräsident Klaus Wowereit, weil der SPD-Politiker ein gesplittetes Votum Brandenburgs widerrechtlich als Zustimmung zum Gesetz gewertet habe. Wowereit bestreitet jedoch, dass Brandenburg „gesplittet“ votiert habe. CDU-Innenminister Jörg Schönbohm habe sein anfängliches „Nein“ im Verlauf der Abstimmung trotz zweimaliger Nachfrage nicht aufrechterhalten, daher sei das Brandenburger Votum „einheitlich“ gewesen.

Hätte Schönbohm also mehr als einmal das Wort „Nein“ aussprechen müssen, um eine rechtsgültige Zustimmung des Bundesrats zum Zuwanderungsgesetz zu verhindern?

Offiziell vertritt die Union nach wie vor die Auffassung, allein die erste Antwort Schönbohms sei entscheidend gewesen. Doch ganz so sicher scheint man sich auch bei der Union nicht mehr zu sein. „Wenn er noch einmal Nein gesagt hätte, wäre das sicherlich hilfreich gewesen“, sagte CDU/CSU-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach gestern in der taz. Auch in CDU-nahen Regierungskreisen in Potsdam wird jetzt eingeräumt, die Argumentation, dass nur die erste Antwort zähle, stehe „auf wackligen Beinen“.

Schönbohm jedenfalls war sich schon vor der Abstimmung sehr wohl bewusst, wie wichtig die genaue Wortwahl oder ein mögliches Schweigen werden könnten. Der stellvertretende Ministerpräsident selbst sagte in seiner Rede, an Wowereit gewandt: „Ersparen Sie es uns bitte, durch Nachfragen noch einmal ein anderes Stimmverhalten zu erwarten oder anzumahnen.“

SPD-Parteichef Matthias Platzeck sagte gestern der taz, Schönbohm habe gewusst, wenn er mehr als einmal „Nein“ sagen würde, sei die Koalition zu Ende.

Auf CDU-Seite hieß es, Stolpe habe Schönbohm vor der Sitzung „sehr deutlich“ gesagt, bei einem zweiten Nein könne er sich gleich seine Entlassungsurkunde abholen. Deshalb habe Schönbohm bei Wowereits erster Nachfrage erklärt: „Sie kennen meine Auffassung, Herr Präsident.“ Damit habe er sich dem „Diktat“ der SPD geschickt „entzogen“. Dass der Minister bei der zweiten Nachfrage schwieg, sei „für den weiteren Verlauf der rechtlichen Klärung irrelevant“.

Allerdings belegt ein Blick in das Bundesratsprotokoll: Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) ahnte bereits während der Sitzung, dass Schönbohms Schweigen nicht reichen könnte, um eine Klage gegen das Abstimmungsergebnis durchzubringen. Auf Wowereits zweite Nachfrage hatte Manfred Stolpe (SPD) verkündet: „Als Ministerpräsident des Landes Brandenburg erkläre ich hiermit: Ja.“ Daraufhin rief der aufgebrachte Koch laut Protokoll ins Plenum: „So! Und was sagt Herr Schönbohm?“ Doch vom Brandenburger Innenminister kam nichts mehr. Kein einziges Wort. Wowereit fuhr fort: „So, dann ist das so festgestellt“, und wertete das Votum Brandenburgs als „Ja“.

Ausgerechnet Koch, der schärfste Gegner des Zuwanderungsgesetzes, könnte also die Strategie der Union durchkreuzt haben. Denn warum hätte er Schönbohm zu einem weiteren „Nein“ auffordern sollen, wenn die letzten Antworten auf Wowereits Fragen so irrelevant waren, wie die Union jetzt behauptet? Geholfen hat Koch der Union durch seine Zwischenrufe jedenfalls nicht.