Alle Wahrscheinlichkeiten übertroffen

Knut Rettig, Trainer der Volleyballerinnen von Phoenix Hamburg in einem Erklärungsversuch, wie er sich mit dem Saisonverlauf so verschätzen konnte  ■ Von Silke Schlichting

taz hamburg: Das ausgegebene Saisonziel lautete Platz fünf bis acht – jetzt steht Ihr Team auf dem zweiten Rang. Darf man sich als Trainer vor der Saison so verschätzen?

Knut Rettig: Zu Beginn der Saison lief es wie erwartet, wir haben ein Spiel gewonnen und danach gleich viermal hintereinander verloren. Da war das Geschrei groß. In unserem Pokalheimspiel gegen Ulm wurde dann alles anders: Der erste Satz lief wie die vorigen Spiele auch – völlig desolat. Die Spielerinnen waren apathisch und ohne jedes Selbstvertrauen. Im zweiten Satz hat die Mannschaft plötzlich die Kurve gekriegt und endlich angefangen, auf dem Niveau zu spielen, was sie kann.

Was kann sie denn spielen?

Wir haben zwar keine Starspielerin dabei, aber die Summe der Einzelleistungen ist höher als bei den Gegnerinnen. Ich empfinde dabei gerade die mannschaftliche Geschlossenheit und die Kulturvielfalt in unserem Team als sehr positiv.

Ist das die einzige Erklärung für den unglaublichen Erfolg des Aufsteigers in der Bundesliga?

Nein, nach dem letzten Abstieg haben wir die Leistungsträgerinnen mit großem finanziellen Aufwand halten können. Davon profitieren wir jetzt. Außerdem haben wir mit Jelena Keldibekova eine sehr gute Zuspielerin holen können.

Wie kommt man eigentlich zu einer Zuspielerin aus Kasachstan mit peruaniuschem Pass, ohne ein Budget für Sichtungsreisen?

Marina Chuxeyeva aus unserem Team stammt ebenfalls aus Kasachstan. Sie hat sich an die Spielerin erinnert. Und ich wusste: Auf das Urteil von Marina kann ich mich voll verlassen. Zugegeben, das war ein blinder Einkauf, aber ein umso glücklicherer.

Wie versuchen sie als Trainer, Glück weitesgehend durch planbaren Erfolg zu ersetzen?

Vor allem durch intensive Geg-nerbeobachtung. Wir bereiten uns am Videogerät vor, versuchen die entscheidenden Merkmale des Gegners zu finden und richten das Training darauf aus. Ich muss versuche, Wahrscheinlichkeiten zu bilden und die Wahrscheinlichkeiten dann so an die Spielerinnen weiterzugeben, die sich dann entsprechend einstellen können.

Kann man denn überhaupt intensiv mit den halbprofessionellen Strukturen arbeiten, die sie zwangsläufig vorfinden?

Das ist unterschiedlich. Wir haben fünf Profis und drei Spielerinnen die voll arbeiten. Die können vormittags nicht trainieren. Einen Vormittag trainieren wir alle gemeinsam vor dem Spiel. Wenn wir um 15 Uhr spielen, machen wir das um 9 Uhr .

Halten Sie es generell für möglich, eine rentable Volleyball-Bundesliga aufzuziehen?

Ja, das halte ich für möglich, und es gibt bei uns auch schon deutliche Anzeichen dafür. Unsere ZuschauerInnenzahlen haben sich verbessert, wir haben eine neue Halle und wir steigern im nächsten Jahr unseren Etat von 250.000 auf 360.000 Euro.

Wo liegen denn die Hindernisse bei der Vermarktung?

Heute findet die Vermarktung häufig im Event-Bereich statt, und im Volleyball gibt es nun einmal nicht das Event, sondern immer wieder Spieltage.Unserem Verein fehlt da zum Beispiel einfach das Know-How. Man müsste auch da einfach mal investieren. Das kann man aber nicht, weil das Geld, was man dort investiert, an anderer Stelle fehlen würde. Das ist der Teufelskreis, und den müssen wir durchbrechen.

Stellt die Abgelegenheit des Vereins ein Problem dar? Oder gibt es irgendwelche Bestrebungen, näher an Hamburg heranzurücken?

Im Gegenteil. Wir sind der festen Überzeugung, dass Harburg ein großer Vorteil für das Team ist. Wir sind hier ganz klar die Nummer eins. Für uns war die Umbenennung in TVF Phoenix Hamburg wichtig. TV Fischbek, das kennt kaum jemand in Hamburg, geschweige denn außerhalb. Doch Hamburg, das kennt jeder. Und Phoenix bedeutet für uns die Angliederung an den Hauptsponsor.

Dennoch werden Überlegungen laut, die Play-Offs in der Alsterdorfer Sporthalle auszutragen?

Also wie das in die Zeitung gekommen ist, das weiß ich auch nicht. Wir haben uns darüber ziemlich geärgert, weil wir nun wirklich nicht nach Hamburg gehen wollen, so lange wir nicht müssen. Selbst wenn wir das Endspiel der Play-Offs erreichen sollten, wäre höchstens mit 2000 Zuschauern zu rechnen. In diesem Fall würde die Kapazität der Schulhalle Süderelbe nicht ausreichen und wir müssten anfangen uns etwas überlegen. Aber das steht im Moment wirklich nicht im Vordergrund.

Dann machen sie sich bestimmt auch noch keine Gedanken über die Planungen für die kommende Saison?

Doch, doch. Unser Ziel lautet wieder, die Mannschaft zu halten. Okka Rau wird weiter bei uns bleiben. Hana Musilova, Ana Popovic und Katrin Petzold werden uns nach der Saison verlassen.

Hat man nach einem bisher so erfolgreichen Saisonverlauf überhaupt noch Erwartungen an die Play-Offs?

Die Siegesserie dauert mir persönlich schon fast ein bisschen zu lang. Alle warten doch nur auf die erste Niederlage. Und bei den im April startenden Play-Offs fehlt uns nun der Underdog-Bonus, obwohl das Team überhaupt keine Play-off-Erfahrungen besitzt. Mal sehen welche Überraschungen wir noch parat haben.