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Die Zweite Unschuld

Wohin aber geht der Mensch? Zum Tode des Kabarettisten Matthias Beltz, 57, der am Mittwoch in Frankfurt an den Folgen eines Herzinfarkts gestorben ist. Nachruf auf einen Altersgenossen

von EVA DEMSKI

So hat er in einem seiner Programme gefragt: Woher kommt der Mensch? Warum ist er dort nicht geblieben? Und was macht er hier?

Wohin der Mensch denn gehen würde, hat Matthias Beltz ganz beiläufig auch noch wissen wollen, aber nicht so, als ob er die letzten Fragen veräppeln würde, sondern wie einer, der ganz gern eine Antwort auf sie hätte. Fragen wird man ja noch dürfen.

Bei seinem letzten Auftritt im Tigerpalast, so erzählt der Direktor dieses von Beltz mitgegründeten Etablissements, Johnny Klinke, habe Matthias sich über die wichtigsten Ereignisse des Menschenlebens lustig gemacht, Taufe, Hochzeit, alles nichts Besonderes, da ist ja nichts los. Einzig Beerdigungen ließ er gelten in einer seiner letzten Stunden auf der Bühne: Das ist was Richtiges. Nur genügend Streuselkuchen muss da sein.

Warum grade sein Tod so vielen schmerzhaft ins Herz gefahren ist, hat nicht nur damit zu tun, dass sich da eine ganze Generation plötzlich gezwungen sieht, in ihr eigenes Grab zu gucken. Grade diese Generation hatte sich selbst doch die längste Jugend der Weltgeschichte verordnet! (Manche wollen bis zum heutigen Tag nicht davon lassen, sie tragen dünne Zöpflein im Nacken und spannen ihren Söhnen die Freundinnen aus oder sie versuchen es zumindest, und unter vielen anderen Dingen habe ich auch über dieses Phänomen mit dem Beltz sehr lachen können.) Schöner Satirestoff war das.

Nicht nur der Tod des Altersgenossen schreckt, sondern dass einer der wenigen gegangen ist, die zeigefingerfrei sagten, was man selber vielleicht gerne gesagt hätte, wenn man sich denn getraut hätte. Das galt für ganz gegensätzliche Menschen: Die Linken, die mit der Penetranz von Antiquitätenschiebern jedes alte Geistesgerümpel schönreden, nur weil es im Keller der Weltgeschichte überdauert hat, mochten ihn – wenn auch oft nur klammheimlich –, aber auch Mandatsträger aller Farben kriegten entspannte Gesichter, wenn sie ihm zuhörten. Es ging zwar gegen sie, und das wussten sie, aber es tat ihnen irgendwie gut, seiner temperierten Frechheit zuzuhören.

Das alles klingt zu leicht, zu gauklerisch, zu wenig weltanschauungsgestählt und von pädagogischem Furor getrieben? Ja, das tut mir nun Leid, aber genau so sehe ich den Beltz. Deswegen werde ich ihn sehr vermissen. Es gibt eine Art Zweiter Unschuld, und nichts ist schwieriger, als sie zu erlangen. Er hatte sie, glaube ich. Die erste ist kein Kunststück, die kriegen wir, wieder in unserer schwierigen Heimat, der Linken, reichlich vorgeführt. Unverdrossen der Welt vorzuwerfen, dass sie ist, wie sie ist, in jungen Jahren gewonnene oder irgendwo ausgeliehene Einsichten bis zur Absurdität zu proklamieren, weit entfernte und undurchschaubare Ereignisse zu beurteilen, wobei der eigene Nabel den Quell der Erkenntnis bildet. Die Zweite Unschuld heißt: Ich weiß, das ich nichts weiß. Aber ich bleibe neugierig, immer, und höre nicht auf, skeptisch zu staunen. Wenn es Not tut, kämpfe ich auch, aber nicht weil eine Partei, ein Guru oder meine Wohngemeinschaft mir das verordnet. Die Zweite Unschuld findet die Welt zwar unvollkommen, aber schön. Die Zweite Unschuld ist ironisch – sie kann gar nicht anders, denn über die Titanen der Bedeutsamkeit muss sie leider sehr lachen – aber sie gönnt der menschlichen Hilflosigkeit den notwendigen Ernst. So habe ich ihn verstanden.

Er war Mitglied und Nutznießer der Medienwelt, aber er hat souverän ihre Gesetze missachtet. In einer Zeit, in der jede debile Schlagerdohle glauben muss, es gäbe nichts wichtigeres als ihre Unterhosen, und in der nicht nur Därme öffentlich gespiegelt werden, war er ein schneeweißer Rabe, ein geselliger Eremit. Gab der Bühne und dem Fernsehen, was ihrer war und nicht ein Grämmchen mehr. Gerabeitet hat er viel, vielleicht zu viel. In letzter Zeit schien er mir ein bisschen müde, ein klein bisschen ernster als sonst.

Auch wenn man der Öffentlichkeit nur gibt, was man ihr geben will, kann einem das zu viel wegnehmen.

Jetzt weiß er, wo der Mensch hingeht. Jahre zu früh.

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