Wiederauferstehung in Grün-Weiß

■ Werder gewinnt in der letzten und in der allerletzen Minute 4:3

Es war nicht zum Angucken! Als das Spiel nach dem vermuteten den tatsächlichen Höhepunkt an Irrwitz erreicht hatte, als Frings mit einem feinen Solo bis in den Hansa-Strafraum gedribbelt war, als der Rostocker Schröder angegrätscht kam, als Frings fiel, Schiri Sippel pfiff und lange, lange überlegte, dann aber doch zum Elfmeterpunkt deutete, als sich Ailton den Ball schnappte – da stakste Werder-Coach Schaaf kreidebleich hinter die Trainerbank, hielt sich den Kopf mit beiden Händen und blickte flehend gen Himmel. Es war nicht zum Aushalten! Es war zum Wahnsinnigwerden! Aber schön!

Ailton tat ihn rein. Und Werder ist wieder dran. Nach einem irren Fußballspiel. Mit 4:3 gewinnen die Bremer gegen Hansa Rostock – was noch relativ normal wäre. Nicht normal dagegen: Der Ausgleich für Werder fiel erst in der 90. Minute, und zwar durch den Torwart Frank Rost. Den Sieg machte Ailton durch einen verwandelten Elfmeter in der Nachspielzeit klar. Und Bremen feiert die österliche Wiederauferstehung einer Mannschaft, die schon längst fußballerisch tot war.

90 Minuten lang war Werder nicht allzu viel eingefallen gegen diszipliniert und flott aufspielende Rostocker. Immer wieder hatte das Bremer Mittelfeld um Lisztes versucht, den Ball bei den Fachkräften der Angriffsabteilung unterzubringen – erfolglos. Ailton rannte irgendwohin, immerhin rannte er, denn sein Kollege und Bode-Ersatz Klasnic trabte nur planlos. Drum kamen die langen Verzweiflungspässe aus der Bremer Hintermannschaft erst recht nicht an. Und wenn dann einer wie Frings mal genervt ein Dribbling startete, dann rannte er sich garantiert fest. Die Rostocker dagegen: gut sortiert und flott nach vorne. Nach dem schnellen Bremer Führungstreffer glich der überragende Rydlewicz aus, di Salvo erhöhte auf 2:1 für die Gäste, und der Ausgleich durch Frings hielt nur drei Minuten. Da kullerte der eingewechselte Schröder den Ball über die Bremer Linie.

Es kam, was häufig kommt: Die einen mühen sich, die anderen haben mehr Platz und könnten ihre Führung noch erhöhen, aber kein Mensch glaubt mehr wirklich, dass in dem Spiel noch was passiert. Eine Viertelstunde vor Ultimo machten sich die ersten Zuschauer auf den Heimweg. Mit dieser letzten Minute hatte niemand gerechnet. Und erst recht keiner mit der allerletzten.

Am wenigsten Hansa-Trainer Armin Veh. So nah dran war er mit seiner Truppe am ersten Auswärtssieg seit Anfang Dezember, am Riesenschritt weg von der Abstiegszone, an der Krönung einer wirklich ansehnlichen Leistung – und dann so was: Eine Werder-Ecke durch Lisztes, Verwirrung im Rostocker Strafraum – und der nach vorne geeilte Frank Rost semmelt das Spielgerät samt Abwehrspieler Lanzens Unterleib zum 3:3 in's Hansa-Tor. Das war der Moment, als ein stocksaurer Veh den Innenraum des Weserstadions verließ. Und nach der bitteren die ungenießbare Pointe beinahe verpasst hätte. Aber nur beinahe. „Ich hab's genau gesehen!“ Mit versteinerter Mine gab der Hansa-Coach hernach Auskunft. Vor allem eben die eine: „Hinterher sagt man immer: Der Schiri war's nicht. Diesmal sag ich, doch, der war's. Ein Mann hat uns den Sieg geklaut!“

Der Mann hieß Sippel, war Schiedsrichter der denkwürdigen Partie, und Vehs Interpretation des Vorgangs ist – ein wenig – eigenwillig. Torsten Frings hatte sich mit einem feinen Solo bis in den Rostocker Strafraum gefummelt, als der Rostocker Schröder angegrätscht kam. Den Ball traf er nachweislich nicht, Fringsens Beine aber sehr wohl. Sippel zögerte zwar lange, bis er auf den Punkt zeigte, aber die Entscheidung war schlicht korrekt. Und drin. Ailton traf zum 4:3. Was sich Thomas Schaaf – siehe oben, eigentlich gar nicht ansehen mochte. Eigentlich, weil's ja nicht zum Aushalten war. „Doch doch“, sagte er später. „Ich hab's gesehen. Beim Elfer habe ich schon wieder auf der Bank gesessen. Rechts unten hat er ihn reingemacht“ – und er lacht. Kann er auch. Rostock ist unten drin und Bremen oben dran. Die Lauterer sind noch drei Punkte vorne, viel ist das nicht. Und am nächsten Wochenende spielt Werder bei den Bayern. Das Ergebnis für Werder in der letzten Saison: 3:2. Da geht was.

Übrigens: Den Elfer hat Ailton links oben in's Tor geschossen.

Jochen Grabler