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: Komische Vögel bei Brehm, Satire bei Voltaire

Nicht schlecht, Herr Specht

Es wird Frühling. Man reißt das Fenster auf, um die Knospen der Hofkastanie zu bewundern und anregendem Vogelgezwitscher zu lauschen – und schließt sie gleich wieder. Denn das schöne Wetter hat die zähesten aller Mitbewohner, die hämisch knatternde Elster und die nervtötend buhende Taube, durchaus nicht vertrieben.

Dass man manchem komischen Vogel brutales Unrecht tut, erfährt man bei Alfred Brehm (1829–1884), dessen Berichte „Aus dem Leben der Vögel“ Hanns Zischler auf Hörbuch eingelesen hat. Die Betrachtung des Sperlings wirft da die überraschende, aber berechtigte Frage auf: „Wer hat wohl jemals seine Verdienste anerkannt?“ Brehm lobt den fleißigen Kerbtiervertilger und argumentiert kühn: Aufgrund seines symbiotischen Zusammenlebens mit dem Menschen kennzeichne den Spatz eine „ungemein hohe geistige Bildung“, also Klugheit, List, Gedächtnis, ja Weisheit. Auch für den Kolkraben und die ihm verwandten Krähen und Dohlen wirft er sich in die Bresche. Hier gilt es ein Image zu korrigieren, das den Sprachgebrauch von der Bibel („da hackten ihm die Raben die Augen aus“) bis zur Neuzeit („Rabeneltern“) durchzieht. Verleumdungen! Dafür erfährt man, dass des Raben Horst „dem Hagel eines Gewehres vollkommen undurchdringlich ist“ und sich beim Brüten folgendes Szenario ereignet: Das Weibchen wird „bei dem langweiligen Geschäft“ vom Männchen gefüttert und, wie schön, „gesellig unterhalten“.

Während beim Uhu, dem schlecht gelaunten, „widerwärtigen Vogel“, Brehms Verteidigungsrhetorik vorübergehend erschlafft, gerät er beim Storch richtig in Fahrt. Der Storch sei „Nachbar und Doppelgänger des Menschen“, erkennbar nicht nur an seiner charaktervollen Gestalt und motorischen Grandezza, sondern auch an seiner patriarchalen, gemütvollen Familienstruktur, seiner Bereitschaft, etwaiger Überbevölkerung durch Krieg abzuhelfen, und seiner Staatsform, einer „freien, aber wohl geordneten Assoziation“.

Damit erfährt man wenig ornithologisch Korrektes, lernt aber eine Menge über bildungsbürgerliche Moral, Anthropozentrismus und romantisierende Populärwissenschaftsprosa im 19. Jahrhundert. Und weil der „Tiervater“ so hemmungslos zur Vermenschlichung seiner Forschungsobjekte neigt und Beutefang wie Fortpflanzung in fantastische Spannungsbögen kleidet, hören sich die Vogelporträts ausgesprochen komisch an. Bloß von Elstern und Tauben ist leider nicht die Rede.

Auf jeden Fall eine gute Sache, wenn die Bestückung des Audiosegments Verlage dazu verleitet, ehemals kanonisierte und trotzdem fast vergessene Texte wiederzuentdecken. Neben Brehm findet man auch einen Evergreen der knallhart aufklärerischen Satire: Voltaires „Candide“, wo alle zwei Seiten 30.000 Menschen in sinnlosen Schlachten krepieren oder von Erdbeben verschluckt werden, während am Rande der Katastrophe stets unbeirrt sinniert wird, ob sich die Einsicht in die gute und richtige Zwangsläufigkeit von Ursache und Wirkung, die Überzeugung von der besten aller Welten noch aufrechterhalten lässt.

Im Gegensatz zu Brehm hat Voltaire bis heute eine Reihe von Adepten hervorgebracht, deren Werke in der besten aller frühlingshaften Bundesrepubliken nicht mehr verbrannt werden – beispielsweise Wiglaf Droste, der den „Candide“ sehr schön auf CD eingelesen hat und im Booklet als heroisches Manifest gegen die Dummheit preist. Anders als der Sperling dürfte Voltaires bittere Ironie solche feurigen Fürsprachen nicht mehr nötig haben. Obwohl – wer weiß. Man kann sich eben nirgends, weder in der wissenschaftlichen Aufgeklärtheit noch im durchblickerischen Lachen, allzu sicher wiegen. EVA BEHRENDT

Alfred Brehm: „Aus dem Leben der Vögel“. Gelesen von Hanns Zischler. 1 CD, 79:16 Min., 16,90 € Voltaire: „Candide“. Gelesen von Wiglaf Droste. 3 CDs, 220:47 Min., 24,90 € (beide Verlag Antje Kunstmann, München 2002)