Russische Verteidigung

Die Lizenz des geschlossenen russischen Senders TW 6 wurde neu vergeben – an die alte Mannschaft. Diesmal allerdings mit Schutzmaßnahmen gegen allzu viel Kreml-Kritik

Zwei Jahre nahm sich der Kreml Zeit, die Schlacht um die Fernseh-Hoheit zu entscheiden. Im Januar war es so weit. Nach NTW zwang Russlands Kommandozentrale auch TW 6, den letzten unabhängigen Sender des Landes, per Gerichtsbeschluss in die Knie. Letzte Woche vergab das Presseministerium die Lizenz von neuem. 15 Bewerber wollten diese haben, unter ihnen auch ein Team um Altpräsident Michail Gorbatschow.

Den Zuschlag erhielt indes ein schillerndes Konsortium namens „Media-Sozius“. Sein Konzept hatte dem Beirat, einer Honoratiorenjury aus neun Mitgliedern, die den unabhängigen öffentlichen Charakter des Unternehmens unterstreichen sollen, am besten gefallen. Media Sozius will ein anspruchsvolles Programm bieten und sich an die wachsende Mittelschicht wenden, den gesellschaftlich und politisch aktiveren Teil der russischen Bevölkerung.

Was bei dem ganzen Unterfangen zunächst verwirrt: Chefredakteur des so genannten sechsten Kanals wird ausgerechnet Jewgeni Kisseljow – der ehemalige Chef von NTW und TW 6. Seine journalistische Mannschaft, die der Kreml zweimal vertrieben hat, soll das neue Programm bestücken. Frage: Warum schließt der Kreml zwei Sender hintereinander, setzt sich dem berechtigten Vorwurf aus, kein Freund der Pressefreiheit zu sein, wenn er anschließend die gleiche kritische Mannschaft von neuem bestallt?

Das dunkle Russland

Die Antwort ist einfach: Im Media-Sozius-Unternehmen sind diesmal Sicherungen eingebaut gegen Kreml-kritische Berichterstattung. Überhaupt ist diese Konstruktion eine Erfindung der Machtzentrale. Mit Jewgeni Primakow bekommt Jewgeni Kisseljow einen Aufpasser zur Seite gestellt, der seinen Job versteht. Primakow war russischer Premierminister, mit einer ausgeprägten Antipathie gegen die Presse. Außerdem stand er jahrelang dem Geheimdienst FSB vor. Primakow verkörpert das dunkle, der Emanzipation abgewandte Russland. Mit von der Partie ist auch der Vorsitzende des russischen Industriellen- und Unternehmerverbandes Arkadi Wolski, ein Mann aus demselben Holz wie Primakow.

Angeblich legte Kremlchef Wladimir Putin Wert darauf, dass der sechste Kanal kein kommerzielles Unternehmen wird. Bezahlen sollen die Zeche nun zwölf einflussreiche und Putin nahe stehende Geschäftsleute, die der Kreml in die Pflicht nahm. Die Liste liest sich wie ein „Who is who“ der russischen Oligarchie: Roman Abromowitsch, zurzeit Gouverneur von Tschukotka, Oleg Deripaska, Alexander Mamut und Kocha Benokidse. Dazu gehört auch Anatoli Tschubais, ehemals Vizepremier und heute Chef des russischen Stromversorgers RAO EES. Tschubais warnte kürzlich vor der Gefahr eines Rückfalls in den Autoritarismus. Ob die Oligarchen indes die geeigneten Garanten einer unabhängigen Presse sind? Im Konfliktfall dürften auch sie kuschen; dunkle Flecken lassen sich in ihrer Vergangenheit allemal finden.

Trotz der Unwägbarkeiten fiebern die Journalisten dem Neuanfang Ende April entgegen. Klar ist: In Putins Russland mehr Demokratie zu erwarten, wäre naiv. „Die Chance, unter starken politischen Druck zu geraten, ist ziemlich groß“, sagt Kisseljow. Im Nachhinein scheint die Kreml-Strategie aufzugehen. Westlicher Kritik hatte Putin den wirtschaftlichen Charakter der Schließungen entgegengehalten. Nun gibt er der Gesellschaft einen Kanal mit denselben Gesichtern zurück, was auf den ersten Blick Unabhängigkeit verspricht. Aber eben nur auf den ersten. KLAUS-HELGE DONATH