Kirche, Supermarkt

Die Kunsthistorikerin Lorella Pagnucco Salvemini schreibt über Oliviero Toscanis Werbekampagnen für Benetton

Wenige Werbekampagnen erreichten jenseits der Fachpresse eine so breite Berichterstattung wie die des italienischen Strickwarenherstellers Benetton und des verantwortlichen Art-Directors Oliviero Toscani. Bis ins Jahr 2000 und der Anzeigenserie mit 28 zum Tod verurteilten Gefangenen aus US-amerikanischen Gefängnissen. Auch diese Kampagne machte, wie die meisten ihr vorangegangenen, Skandal. Doch nach diesem Coup trennte sich der Firmenchef Luciano Benetton von Toscani.

Es ist aber nicht grundsätzlich skandalös, dass ein Pulloverhersteller eine ölverschmierte Ente, einen sterbenden Aidskranken oder ein albanisches Flüchtlingsschiff – also durchgängig bekannte Nachrichtenbilder – weltweit aufmerksamkeitserregend plakatiert. Es wird nur von vielen Leuten als skandalös empfunden, mit diesen Bildern außerhalb des gewohnten Kontexts der Tageszeitungen und Zeitschriften konfrontiert zu werden. Dass dieser Wahrnehmungskonflikt von einem Pulloverhersteller entfacht wird, macht es nur leichter, das Skandalon der Bilder mit dem Argument zu bestreiten, hier würde mit dem Leid der Menschen Geschäfte gemacht. Ganz so, als ob das nicht Alltag wäre.

Das ist das Resümee, zu dem die italienische Kunsthistorikerin und Journalistin Lorella Pagnucco Salvemini in ihrem Band über die Werbekampagnen Toscanis kommt. Toscani ignoriert die Unterscheidungen zwischen Werbung und Kunst, zwischen Kommerz und Reportage, zwischen gekauftem und redaktionellem Raum. Dies war seit Toscanis Anfängen Stein des Anstoßes. Kein anderer als Pier Paolo Pasolini sprang ihm 1973 bei, als Toscani die Jeansmarke „Jesus“ mit dem Slogan „Wer mich liebt, der folgt mir“ bewarb. Dass die Differenz zwischen Kirche und Supermarkt keine mehr sei, war Pasolinis Argument. Eine neue Bourgeoisie und die Arbeiterklasse öffnen sich einer profanen Spiritualität, deren Riten nicht mehr in der Kirche, sondern im Supermarkt stattfänden. Weil es keine Gläubigen mehr gebe, sondern nur noch Konsumenten, reihe sich der Glaube unter die Konsumgüter ein. Die protestierende Kirche sei „diesmal tatsächlich hilflos und machtlos“, so Pasolini, denn sie habe es „mit einem Phänomen zu tun, das sich nicht mehr rückgängig machen lässt, auch wenn es vielleicht verfrüht gekommen ist: In ihm steckt der neue Geist der zweiten industriellen Revolution und der damit verbundenen Wandlung der Werte.“

Vielleicht müssten heute an Stelle von Pasolini die „Empire“-Autoren Antonio Negri und Michael Hardt das Phänomen Toscani analysieren. Das von ihm entwickelte grüne Firmenlogo „United Colors of Benetton“ mit den Konnotationen von UN, Greenpeace und Weltpolizei und die erstmals tatsächlich globalen Werbekampagnen, die eine Klientel in 120 Länder mit identischen Bildern erreichte. Bis dahin ist Pagnucco Salveminis Band eine empfehlenswerte Lektüre. BRIGITTE WERNEBURG

Lorella Pagnucco Salvemini: „Toscani – Die Werbekampagnen für Benetton 1984–2000“. Knesebeck Verlag, München 2002, 160 Seiten, 34,90 Euro