Von Casablanca nach Marathon

5.000 Stunden spielen, 42 km laufen: City, Rockband aus der DDR, hat einen weiten Weg zurückgelegt. Wenn man bereits in Lexika steht, ist es nicht einfach, im Hier und Heute anzukommen. Trotz und Selbstironie bewahren sie vor der Ostalgie

von THOMAS WINKLER

Ihre Schreibtische stehen direkt nebeneinander. Links sitzt Toni Krahl und kann durchs Fenster auf die Straße sehen, rechts ist Fritz Puppel mit Blick ins Büro platziert. Von Glatzkopf zu Glatzkopf sind es keine drei Meter Luftlinie. In bald drei Jahrzehnten haben sie gemeinsam ein Label und einen Verlag gegründet und alle Energie in eine gemeinsame Band gesteckt, deren Fixpunkte sie stets geblieben sind.

Diese Band heißt immer noch City und bringt dieser Tage ein neues Album heraus. Das trägt sein wichtigstes Verkaufsargument schon im Titel. „Am Fenster 2“ heißt es. Suggerieren soll das, so Gitarrist Puppel, nur, dass die Orginalbesetzung der damals noch City Rock Band geheißenen Kapelle wieder zusammen ist, sogar inklusive des bulgarischen Geigers Georgi Gogow, der die Band 1982 im Streit verlassen hatte. „Es gibt den Terminator von 1 bis 17“, sagt Puppel, „dies ist unsere Fortsetzung“, ergänzt Sänger Krahl, und Gogow ist dann wohl Schwarzenegger.

Gogow war es jedenfalls, der die ohrwurmende Puszta-Melodei spielte, dank der das 17 Minuten dauernde „Am Fenster“ zu einem „Welt-Hit“ wurde. Zehn Millionen Mal soll sich „Am Fenster“ mittlerweile weltweit verkauft haben. Puppel hat ausgerechnet, dass man den Song 5.000 Stunden lang live gespielt hat. Aber auf „Am Fenster 2“ findet sich keine neue Version des Gassenhauers, sondern nur neues Material. Krahl hofft, es möge „eindeutig hörbar“ sein, dass die Platte im Hier und Heute erscheint, aber weiß auch, „dass wir nicht so tun können, als wären wir 2002 aufgewacht und hätten frisch gewaschene Ohren“. Da kann man ihn beruhigen: Das neue City-Album klingt nach City. Das heißt zur Zeit aber auch: Vor allem doch recht hausbacken.

Wieder singt Krahl mit seinem schnoddrigen Organ, das sich früher angenehm abgrenzte von den bedeutungschwangeren Gesängen der DDR-Konkurrenz, vor allem Texte von Werner Karma und Alfred Roesler, die bereits zu Friedenszeiten für die Band reimten. Außerdem hat Heinz Rudolf Kunze den Griffel gerührt. In seinen Texten mußten sie allerdings noch „ein bisschen drin rum krakeln“. Die Brücke zur Moderne schlägt allein „Wege“, geschrieben von der Kreuzberger HipHop-Formation Das Department und gerappt von Krahl.

Der Rest der Platte läuft nicht Gefahr, die mit Fangemeinde zu vergraulen. Die sitzt vorzugsweise im Osten der Republik. Dort sind die Auftritte „flächendeckend gut besucht“, dort wird wohl immer noch der „explosive Alltagsrealismus“ geschätzt, den ihnen Peter Wicke bereits in seinem DDR-Standardwerk „Rock, Pop, Jazz, Folk“ bescheinigte. Das westliche Gegenstück, das Rocklexikon aus dem Fischer-Verlag, befand dagegen, dass die „handwerklich gute Rockmusik“ von City getrübt würde durch „farblose Teenager-Allerweltslyrik“. Auf einer Bühne im Westen findet man sich denn vorzugsweise, wenn beschworen werden soll, dass doch noch zusammenwächst, was nicht so recht zusammenwachsen will. „Wir werden halt drei Tage vor dem Tag der Deutschen Einheit angerufen“, berichtet Puppel, „und dann spielen wir neben BAP und den Scorpions und erfüllen die Ostquote.“

Ganz so staatstragend war man früher nicht. Tatsächlich waren City die einzige DDR-Rockband neben Pankow, die sich nicht komplett in verquasten Texten verlor. Ihr eher prolliges Rocker-Image gab ihnen den Freiraum, manches beim Namen zu nennen. Trotzdem wundert sich Puppel noch heute, dass ihr bestes Album „Casablanca“ 1987 so erscheinen konnte, „mit diesen Texten zu dieser Zeit“. Auch wenn City immer Wert darauf gelegt haben, nicht als politische Band verstanden zu werden, wurden sie aber genau das nach „Casablanca“, das schon auf dem Cover die Sehnsucht thematisierte, den Blick von innen nach draußen.

„Die Texte bei City sollten immer so sein wie Gespräche unter Freunden“, erzählt Puppel, „deshalb sind wir eine Zeit lang auch immer politischer geworden, weil alles politisch war. Man konnte ja kein Wort mehr sagen, weder Zucker noch Ananas, Auto oder Konterrevolution. Wir waren umzingelt von Deutung, Missdeutung und von einer Überpolitisierung.“ Im Osten sicherte das Album ihnen eine bis heute ungebrochene Glaubwürdigkeit, zu der auch beiträgt, dass Krahl zu den Ersten aus dem Kulturbetrieb gehörte, der an prominenter Stelle aufmuckte, als die DDR zu bröseln begann. Und im Gegensatz zu Pankow blieben sie auch von einem Spitzel in den eigenen Reihen verschont.

Nach der Wende beschränkten sie sich nicht wie die meisten ihrer Kollegen darauf, verlorene Pfründen zu beklagen und auf der Ostalgiewelle ins Rentenalter zu reiten. Stattdessen gründeten Krahl und Puppel Plattenlabel und Verlag mit dem Namen K & P, betreuten fortan Künstler wie Keimzeit, Madonna HipHop Massaker, aber auch die alten Kollegen Karat. Die Auswahl zeigt: Die beiden sind mit 52 (Krahl) und 56 Jahren (Puppel) immer noch offen für Neues. Mittlerweile hat sich die kleine Firma einen Namen gemacht. Die Kooperation mit einem der bekannten „Marketing-Großapparate“, so Puppel, haben sie kürzlich beendet, um sich wieder vor allem ganz ihrer eigenen „real existierenden Rockband“ zu widmen.

Eine seltsame Aura aus Trotzigkeit und Selbstironie umgibt die beiden Glatzköpfe an ihren Schreibtischen in Treptow. Mahnen Gerechtigkeit an, ohne zu jammern. Reden vom „Gesellschaftskrieg“, den die Ostler verloren haben, lachen dabei gackernd und bauen Indie-Strukturen auf. Man wird nicht ganz schlau aus ihnen und so war das schon immer. Nur eins scheint sicher: Sie wissen, wo sie hinwollen, und haben die Ausdauer anzukommen. „Wir laufen jeden Tag mindestens eine Stunde“, erzählt Puppel. Im letzten Jahr überstand Trommler Klaus Selmke, 49 Jahre jung, den Berlin-Marathon, diesmal ist er selbst dran. Die 42,195 Kilometer seien nicht das Problem, so Krahl, „aber Fritz will es in zwei Stunden schaffen“.

City: „Am Fenster 2“ (BMG). Am 5. und 6. April im Neuen Tempodrom