Ungarn, Ungarn über alles

Populistische Rhetorik beschert Ungarns regierenden Jungdemokraten zwei Tage vor den Wahlen Spitzenumfragewerte. Sogar eine absolute Mehrheit ist drin. Außenpolitisch setzt Regierungschef Viktor Orbán auf die Achse Berlusconi und Stoiber

von KENO VERSECK

Dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán geht derzeit Ungarn über alles. Auf seiner Wahlkampftour durch Provinzstädte sah Orbán in den letzten Wochen Ungarn als Rakete nach dem Start, die niemand mehr aufhalten könne, nannte Ungar zu sein eine gute Investition, die ungarische Nation eine Familie, die je größer desto stärker sei, und verkündete, dass er zwar kein Astrologe sei, die Sterne Ungarn aber günstig stünden.

Solche patriotisch-populistische Rhetorik kommt derzeit offenbar gut an bei den Ungarn, wohl auch deshalb, weil es den regierenden Jungdemokraten (Fidesz) gelungen ist, Ungarns wirtschaftlichen Aufschwung so zu verkaufen, als hätten allein sie ihn herbeigeführt. In Umfragen liegt die regierende Koalition aus Jungdemokraten und dem Ungarischen Demokratischen Forum bei 44 Prozent und damit fünf Prozent vor den Sozialisten, der größten Oppositionspartei. Chancen auf einen Einzug ins Parlament haben nach den Parlamentswahlen vom Sonntag und dem zweiten Wahlgang in vierzehn Tagen nur noch der liberale „Bund freier Demokraten“ und die rechtsextreme „Ungarische Lebens- und Wahrheitspartei“.

Weil das komplizierte Wahlrecht große Parteien begünstigt, könnte die Regierungskoalition sogar die absolute Mehrheit gewinnen. Es wäre das erste Mal nach 1989, dass in Ungarn eine Regierung wiedergewählt wird.

Dass es wirtschaftlich bergauf geht, ist nicht zu übersehen. Die Wirtschaft wuchs letztes Jahr um 3,8 Prozent, die Reallöhne stiegen, die Arbeitslosigkeit liegt bei nur 5,7 Prozent, der Staatshaushalt schloss 2001 mit einem leichten Überschuss ab.

Doch diese Erfolge gehen nicht nur auf das Konto der Jungdemokraten. Die 1998 abgewählte sozialistisch-liberale Regierungskoalition setzte ein drastisches wirtschaftliches Sanierungsprogramm durch, von dem die Jungdemokraten in den letzten vier Jahren profitierten. Politisch haben sich die Jungdemokraten als einzig große Partei im breiten Spektrum von der Mitte bis zu den Rechtskonservativen etabliert. Vor zehn Jahren noch eine liberal-alternative, radikaldemokratische Kraft, regiert der Fidesz nun selbstherrlich und oft autoritär. Die fehlende klare ideologische Ausrichtung übertünchen seine führenden Politiker mit nationalem Populismus.

Außenpolitisch erweckt Orbáns Regierung den Eindruck, als wolle sie die Rolle der Regionalmacht spielen. Sie hat fast alle Nachbarn mit starken Sprüchen brüskiert und die Beziehungen zu ihnen belastet. So forderte Orbán von Tschechien und der Slowakei die Benes-Dekrete zurückzunehmen und eine Entschuldigung an die Adresse Ungarns. Er pflegt beste Beziehungen zu Edmund Stoiber und Silvio Berlusconi, die nach Ungarn kamen, um seinen Wahlkampf zu unterstützen. Als die EU kaum Kontakte zu Österreich hatte, hielt Orbán der ÖVP-FPÖ-Koalition die Stange. EU-Politiker verblüfft er – als Premier eines Landes, das 2004 Vollmitglied werden will – mit Äußerungen wie, es gebe für Ungarn ein Leben außerhalb der EU, falls die Aufnahmeverhandlungen nicht zur Zufriedenheit seines Landes verliefen.

Die Sozialisten haben solcher Rhetorik nichts Gleichwertiges entgegensetzen können. Ihr Spitzenkandidat Péter Medgyessy gilt als hervorragender liberaler Ökonom und hatte als Finanzminister entscheidenden Anteil daran, dass Ungarns hohe Inflationsrate seit 1998 erstmals auf zehn Prozent zurückging. Verkaufen kann Medgyessy seine Kampagne für mehr Demokratie und Sozialpolitik nicht. Auch der Hinweis auf die Gefahr, dass die Rechtsextremen zum Zünglein an der Waage werden könnten, wenn die Regierungskoalition keine absolute Mehrheit erhält, brachte keinen Erfolg.

Derweil sonnt sich Viktor Orbán schon in der Pose des Wahlsiegers. Der wirkliche Wandel im Land und der Erfolg des „ungarischen Modells“ würden nur erreicht, wenn er und seine Partei nicht vier, nicht acht Jahre, sondern noch länger an der Macht blieben. Eines weiß er schon jetzt: „Der Ungar hat seinen Glauben an sich und sein Selbstbewusstsein zurückgewonnen.“