Ungarn vor Machtwechsel

Nach dem ersten Durchgang bei den Parlamentswahlen liegen die oppositionellen Sozialisten überraschend in Führung. Rechtsextreme scheitern an Fünf-Prozent-Hürde. Mit 71 Prozent höchste Wahlbeteiligung seit der Wende

BUDAPEST taz ■ Spannender hätte der erste Durchgang der ungarischen Parlamentswahlen nicht sein können. Kurz nach der Schließung der Wahllokale hatten vier Forschungsinstitute am Sonntagabend das regierende Bündnis aus Fidesz und dem Ungarisch-Demokratischen Forum (MDF) bereits zum Sieger erklärt. Zwischen 2 und 10 Prozent sahen sie die Konservativen vor den Sozialisten. „Wir wollen keine Meinungsumfragen, sondern nur die Wahlen gewinnen“, sagte der Vorsitzende der sozialistische Partei MSZP, Laszlo Kovacs.

Am Ende sollte er Recht behalten. Dank der überwältigenden Unterstützung der Großstädte landeten die Sozialisten mit 42 Prozent auf dem ersten Platz. Die regierenden Konservativen erhielten 41 Prozent. Nun hat der parteilose Spitzenkandidat der MSZP, Péter Medgyessy, gute Chancen, die vierte frei gewählte Regierung Ungarns zu bilden.

Budapest verhalf den liberalen „Bund freier Demokraten“ (SZDSZ) zum Sprung ins Parlament. Die Partei schaffte landesweit mit 5,5 Prozent die 5-Prozent-Hürde. Größter Verlierer ist die rechtsextreme Partei der Gerechtigkeit und des Lebens (MIÉP). Sie verfehlte mit 4,4 Prozent den Einzug ins Parlament.

Größter Sieger dagegen ist die junge Demokratie Ungarns: 71 Prozent der Wahlberechtigten gaben am Sonntag ihre Stimme ab. Das ist die höchste Wahlbeteiligung seit der Wende. 1998 waren es nur 56 Prozent.

Wegen des komplizierten Wahlsystems steht der Sieger aber noch nicht eindeutig fest. Von den 386 Mandaten werden in 176 Direktwahlkreisen nach dem Mehrheitswahlrecht vergeben. 210 werden nach dem Verhältniswahlrecht verteilt. In 45 Bezirken erreichten Kandidaten schon im ersten Durchgang die absolute Mehrheit der Stimmen. Die Sozialisten siegten in 24 Bezirken, die Konservativen erhielten 20 Direktmandate. In einem Bezirk siegte der Kandidat der MSZP und der Liberalen.

In der Stichwahl am 21. April werden die Sieger der übrigen 131 Bezirke ermittelt. Die Sozialisten und Liberalen wollen in den kommenden Tagen ein Abkommen schließen. In den Bezirken, in denen die Kandidaten der Opposition zusammen die Mehrheit erhielten, einigen sich die beiden wohl auf einen Kandidaten. Ein vorläufiger Koalitionsvertrag hieße, dass die MSZP in rund 10 Bezirken, wo die Liberalen besonders stark sind, ihre besser platzierten Kandidaten aus dem Rennen nimmt. Die Liberalen würden dann im Gegenzug in etwa 50 Wahlbezirken ihre Politiker zurückziehen.

Das komplizierte System ermöglichte Fidesz 1998 den Sieg, obwohl die Partei nach dem ersten Durchgang nur auf Platz zwei lag. Diesmal sind aber die Bündnispartner des rechten Spektrums zu schwach für eine aussichtsreiche Unterstützung. Allein die gescheiterten Rechtsextremen könnten aushelfen. Premier Viktor Orbán hat wissen lassen, ihm wären Stimmen aus der fremdenfeindlichen Partei wilkommen.GERGELY MÁRTON

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