„Der Gerichtshof entsteht auch ohne die USA“

William Pace ist Chefkoordinator der „NGO Coalition for an International Criminal Court“. Trotz der Opposition der USA und der Immunität für Regierungsmitglieder sieht er die Zukunft des Internationalen Strafgerichtshofes nicht in Gefahr. Er plädiert für mehr Geduld

taz: Das Statut des Internationalen Strafgerichtshofes (ICC) wird jetzt in Kraft treten. Doch die Sache der Internationalen Strafjustiz gegen Menschenrechtsverletzer und Kriegsverbrecher scheint mit dem Urteil des Internationalen Gerichtshofes (IGH) in Den Haag, der einem in Belgien angeklagten ehemaligen Außenminister des Kongo Immunität zusprach, einen Rückschlag erlitten zu haben. Wo stehen wir?

William Pace: Während das IGH-Urteil die nationalstaatliche Strafverfolgung gemäß dem Weltrechtsprinzip einschränkt, erkennt es doch die Kompetenz des Internationalen Strafgerichts an. Selbst wenn man die Entscheidung des IGH akzeptiert, dass Staatschefs und Außenminister während der Dauer ihrer Amtszeit immun sind und von nationalen Gerichten nicht wegen Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit belangt werden können, dann bleibt doch die Tatsache, dass 99,8 Prozent der Täter nicht immun sind. Und das Ad-hoc-Tribunal für Jugoslawien beschäftigt sich immerhin gerade mit einem Mann, der angeklagt wurde, während er noch amtierender Staatspräsident war. Insgesamt also schreitet die Globalisierung von Justiz und Gerechtigkeit voran.

Das klingt so beruhigt. Dabei scheint doch die belgische Regierung ihre fortschrittliche Gesetzgebung wieder zurückziehen zu wollen.

Das belgische Gesetz setzt die moralischen und politischen Verpflichtungen um, die in den internationalen Konventionen enthalten sind. Wir sagen: Geduld! In fünf Jahren könnte es 25 weitere Länder geben, die eine ähnliche Gesetzgebung haben wie Belgien. Und es wird den Internationalen Strafgerichtshof geben. Die belgische Regierung sollte auf das IGH-Urteil nicht überreagieren.

Eines der größten Hindernisse für den Internationalen Strafgerichtshof ist die Opposition der USA. Kann der ICC überhaupt funktionieren, wenn die einzige verbliebene Supermacht nicht mitzieht?

Der Gerichtshof wird auch ohne die USA gebildet werden. Insbesondere die EU-Regierungen müssen jetzt beweisen, dass sie zum Aufbau des Gerichtshofes in der Lage sind. Ich persönlich glaube, dass es sogar sehr gut ist, dass der Gerichtshof ohne die Kontrolle durch die Vereinigten Staaten entsteht. Wir werden einen ausgewogeneren, faireren, unabhängigeren Gerichtshof haben, der eben vom Rest der Demokratien aufgebaut wird.

Die öffentliche Meinung in den USA scheint die Linie der Regierung, sich der internationalen Verrechtlichung von Politik zu entziehen, weitgehend zu unterstützen. Wird sich daran etwas ändern können?

Es stimmt, dass die US-Bevölkerung über die meisten internationalen Themen falsch informiert ist. Sie sollten aber auch die Tatsache nicht unterschätzen, dass etliche Organisationen der Zivilgesellschaft den Internationalen Strafgerichtshof unterstützen. Das Problem ist, dass die USA, genau wie China und Russland, einfach so groß sind, dass man sich über außenpolitische Themen wirklich nicht viele Gedanken macht.

Nur eine Hand voll einflussreicher Länder haben den Vertrag bislang ratifiziert …

Einspruch! Es ist vielmehr so, dass es lediglich eine Hand voll einflussreicher Länder sind, die den Vertrag nicht ratifiziert haben: Die USA, Japan, China, Indien etc. Die meisten einflussreichen Länder und die meisten Demokratien werden beim Aufbau des Gerichtshofes dabei sein. Im übrigen glaube ich, dass die USA im Laufe der Jahre auch an Bord kommen werden. Sie werden mit der Zeit erkennen, dass der Gerichtshof nicht dazu da ist, US-Soldaten zu bestrafen oder politisch motivierte Gerichtsverfahren gegen die USA zu führen.

Was wird nach dem In-Kraft-Treten des Statuts aus der NGO-Koalition?

Die nächste Herausforderung ist die Einrichtung des Gerichtshofes selbst. Die tausenden Mitgliedsgruppen der NGO-Koalition haben einige der besten Experten auf diesem Gebiet weltweit, um dieser neuen internationalen Organisation zu helfen, ihr Potenzial zu entfalten. INTERVIEW: BERND PICKERT