Depression in deutschen Moscheen

Der Nahe Osten bedrückt Deutschlands Muslime. Mit Briefen und Demos versuchen sie, die Politik zu beeinflussen

GÖTTINGEN taz ■ „Für die Muslime in Deutschland gibt es außer Palästina fast kein Thema mehr“, beobachtet Norbert Müller, Vorsitzender der Gemeinschaft der muslimischen Geistes- und Sozialwissenschaftler. „Die Stimmung ist depressiv.“

Auch in den Freitagsansprachen der Vorbeter in den Moscheen gehe es seit Wochen zumeist um das Vorgehen der israelischen Armee. „Die Imame versuchen, etwas von den Sorgen derer, die dort Verwandte haben, aufzufangen“, sagt Müller. „Und sie beruhigen die Gemüter, damit die Welle von Übergriffen auf jüdische Einrichtungen nicht aus Frankreich hier herüberschwappt.“

Etwa 3 Millionen Muslime leben in Deutschland. Kaum ein islamischer Verein, der zur Zeit nicht zu Kundgebungen aufruft, Unterschriftenaktionen gestartet oder offene Briefe versandt hat. In mehreren Städten hat es bereits Demonstrationen gegen die Politik Israels in Palästina gegeben. Zuletzt protestierten 4.000 Menschen in Hamburg.

Die Al-Aksa-Moschee in der Altstadt Jerusalems gilt den Muslimen als drittwichtigste Stätte des Islam nach Mekka und Medina. Angesichts der jüngsten Eskalation gesellt sich zur Wut über die israelische Politik noch das Unverständnis für die als einseitig und viel zu passiv empfundene deutsche und internationale Reaktion. „Es gibt eben keinen anderen Konflikt auf der Welt, bei dem sich die westliche Doppelzüngigkeit so deutlich zeigt“, erklärt Ayman Mazyek, Sprecher des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD).

„Vor den Augen der Welt vollzieht sich in den besetzten palästinensischen Gebieten ein geplanter Vernichtungskrieg“, heißt es deshalb in einem offenen Brief, den der ZMD unter anderem an die UNO und die EU geschickt hat. „Es wäre gefährlich, den Nahostkonflikt nur religiös zu betrachten. Denn der Kern des Konflikts ist politisch“, betont Mazyek. „Jerusalem ist eine Art heimlicher Welthauptstadt. Sie ist für viele Menschen wichtig. Deshalb ist es eben so problematisch, wenn jüdische Bürger den Konflikt religiös deuten.“

Am liebsten wäre es ihm, Juden und Araber demonstrierten gemeinsam für Frieden in Nahost. Beim Islamrat, dem zweiten großen Dachverband in Deutschland lebender Muslime, teilt man diese Einschätzung. „Wir müssen immer genau zwischen den Israelis insgesamt und dem israelischen Premier Ariel Scharon unterscheiden“, betont der Islamratsvorsitzende Ali Kizilkaya. „Es darf keine Pauschalverurteilungen geben. Wir müssen alles tun, um Szenen wie in Frankreich zu verhindern.“

Die fundamentalistische Milli Görüs, mitgliederstärkster Verband des Islamrats, hat eine eigene Kampagne gestartet. Massenhaft sollen E-Mails an UN-Generalsekretär Kofi Annan versendet werden, worin Israel zur Einhaltung der einschlägigen UN-Resolutionen aufgefordert wird. Das für seine Radikalität berüchtigten Internetportal muslim-markt.de bietet stärkere Kost: In einem „Palästina-Spezial“ findet sich eine Liste empfohlener Demoparolen. „Muslime kennen keinen Schreck, Israel muss weg, muss weg“, heißt es dort unter anderem. „Völlig inakzeptabel“, kommentiert Ali Kizilkaya vom Islamrat. „Ich würde niemals hinter so einem Plakat marschieren“, ergänzt Ayman Mazyek für den ZMD.

Auch von den Selbstmordattentätern distanzieren sich die Verbände. „Viele von uns können die Verzweiflung zwar nachvollziehen“, sagt Norbert Müller. „Aber befürworten können wir das nicht.“ YASSIN MUSHARBASH