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Tragödie eines Unzumutbaren

Das schwere Schicksal des neuen Chefs der Bundesanstalt für Arbeit, Florian Gerster

„Ich glaube, der wollte den Job nicht“, vertraute Riester später einem seiner Mitarbeiter an

„Wir sollten schon jetzt die Grundzüge weiterer Arbeitsmarkt-Reformen nach der Wahl vorbereiten.“ Als der rheinland-pfälzische Arbeitsminister Florian Gerster im Januar 2002 diese Worte in einem Interview des Berliner Tagesspiegel sprach, schien er sich damit von seinem bisherigen Steckenpferd, der Gesundheitsreform, abzuwenden. Gut einen Monat später wurde er zum Vorstandsvorsitzenden der Bundesanstalt für Arbeit ernannt, was niemanden überraschte – offenbar hatte sich der 53-Jährige rechtzeitig und erfolgreich für den neuen Posten empfohlen. Dass alles aber ganz anders gewesen ist, legen Gerüchte nahe, die derzeit im politischen Berlin die Runde machen.

Aus dem Umfeld von Walter Riester wird berichtet, dass sich der Arbeitsminister wenige Tage vor dem Interview mit Gerhard Schröder und Florian Gerster zu einem Sondierungsgepräch getroffen hatte. Riester sei damals erstaunt gewesen: Gerster erschien nicht nur in fleckigem Jogginganzug und 20 Minuten zu spät zur Verabredung im Kanzleramt, er war darüber hinaus unrasiert, hatte dreckige Fingernägel und eine Alkoholfahne. „Ich glaube, der wollte den Job nicht“, vertraute Riester später einem seiner Mitarbeiter an. Gerhard Schröder wiederum soll den seltsamen Auftritt des Genossen geflissentlich ignoriert und gegenüber Gerster von „zumutbarer Arbeit“ gesprochen haben.

Vor einem solchen Hintergrund müssen sämtliche Äußerungen Gersters vollkommen neu gewertet werden. Offenbar ließ der Erfinder des „Mainzer Modells“ in den vergangenen Monaten nichts unversucht, den unerwünschten Posten doch nicht antreten zu müssen. Denn wie sonst ließe sich erklären, dass Gerster – immerhin seit 36 Jahren Sozialdemokrat – im selben Interview vorschlug, Arbeitslosengeld generell nur zwölf Monate zu zahlen, „damit Beschäftigungslose einen stärkeren Anreiz bekommen, sich eine Stelle zu suchen“? Sicherlich hoffte er auf Widerspruch, mehr noch: auf ein anständiges Negativimage. Zur Sicherheit legte er diesen Satz nach: „Außerdem müssen Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammengelegt werden.“

Es geschah jedoch nichts. Nichts, was Gerster vor dem Umzug nach Nürnberg hätte retten können. Am 22. Februar hieß er, allen Anstrengungen zum Trotz, „designierter Chef der Bundesanstalt für Arbeit“. Aber Gerster gab nicht auf. Noch war er nicht im Amt, noch konnte er beweisen, wie ungeeignet er für diese Stelle war. Er gab weitere Interviews. Der Bundesanstalt für Arbeit verordnete er vorab neues Briefpapier und neue Formulare: „Bundesagentur für Arbeit“ sollte seine Behörde zukünftig heißen, sagte er der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, der bisherige Name klinge nach „Obrigkeitsstaat und Sozialfürsorge“. Das war schon dick aufgetragen, aber erneut blieb die öffentliche Reaktion weitgehend aus. Immerhin folgte auf das Sonntagsgespräch eine Unterhaltung mit dem Spiegel. „Ich plädiere dafür, die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes für Ältere stufenweise zu reduzieren“, hatte Gerster hier unter anderem gesagt und auch seine Lieblingsprovokation erneut eingesetzt: „Das Niveau der Unterstützung für Langzeiterwerbslose wird sich künftig eher am Niveau der Sozialhilfe als an dem der heutigen Arbeitslosenhilfe orientieren.“

Und endlich, endlich tat sich etwas. Das Bundesarbeitsministerium distanzierte sich; der DGB in Gestalt von Ursula Engelen-Kefer apostrophierte einen „offenen Konflikt“ mit den Gewerkschaften; die sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen sah „parteischädigendes Verhalten“. Auch die Opposition reagierte richtig: Der CDU-Fraktionsgeschäftsführer Hans Peter Repnik unterstützte ihn und unterstellte der Bundesregierung, sie wolle Gerster noch vor Amtsantritt mundtot machen. Gerster, der Gesundheitsminister in spe, frohlockte. Alles lief nach Plan! Als ausgebildeter Psychologe wusste er, dass er jetzt, so kurz vor dem Ziel, beharrlich bleiben musste. In einem Interview mit dem Handelsblatt erneuerte er seine Forderung, das Arbeitslosengeld bei längerer Arbeitslosigkeit stufenweise zu senken. Dann aber legte sich die Aufregung. Ruhe kehrte ein. Erschüttert stellte Gerster fest, dass man ihn gewähren ließ. All sein Aufbegehren war umsonst gewesen! Seine übergeschnappten Vorschläge hatten ihn nicht aus dem Rennen geworfen, sondern schnurgerade in der Bahn gehalten. Vor seiner Tür warteten keine Männer mit weißer Jacke, sondern Vertreter großer Druckereien, die ihm sensationell günstige Angebote für die Herstellung des neuen Briefpapiers unterbreiteten. Am 27. März schlug die Stunde der Wahrheit: Gerster wurde förmlich zum Vorstandsvorsitzenden der Bundesanstalt für Arbeit ernannt.

Wenn Florian Gerster, ehemaliger Arbeitsminister von Rheinland-Pfalz, Psychologe, Personalberater und – ach weh! – heimlicher Nachfolger der Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, in seiner ersten Pressekonferenz in dieser Woche resigniert, geradezu abgeschlagen wirkte, dann verwundert das nicht. „Das Ende der Talsohle ist noch nicht erreicht“, warnte der neue Arbeitsamtchef. Er scheint sich mit seinem Schicksal abgefunden zu haben. CAROLA RÖNNEBURG

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