Ionentriebwerke halten den Kurs

Nur wenige Kilogramm eines Edelgases reichen aus, um Satelliten jahrezehntelang stabil in einer Umlaufbahn zu halten. Die nach dem Rückstoßprinzip arbeitenden Ionentriebwerke sind weitaus effektiver als die herkömmlichen Triebwerke

Erste Ionentriebwerke wurden in den Fünfzigerjahren entwickelt

von KENO VERSECK

Im Juli vergangenen Jahres startete der europäische Experimentalsatellit Artemis auf einer Ariane-5-Rakete ins All. Während der ersten Minuten verlief der Start planmäßig, dann gab es Probleme: Die dritte Raketenstufe zündete fehlerhaft, der Schub war wesentlich geringer als erforderlich. Der drei Tonnen schwere Satellit landete auf einer viel zu niedrigen Umlaufbahn – in 17.000 Kilometer Höhe statt auf den vorgesehenen 36.000 Kilometern.

Normalerweise müssen Satelliten nach einem solchen Fehlstart aufgegeben werden: Ihr bordeigener Treibstoff reicht für große Bahnkorrekturen nicht aus, und in falschen Umlaufbahnen können sie ihre Funktionen kaum oder gar nicht mehr erfüllen. Artemis wäre ein besonders empfindlicher Verlust gewesen: Der 700 Millionen Euro teure Satellit war nicht versichert.

„Ich saß im Kontrollraum und dachte schon, der Satellit sei verloren“, erzählt der Artemis-Missionsleiter Gotthard Oppenhäuser. „Doch dann fanden wir eine Lösung des Problems. Denn Artemis ist eben nicht wie alle anderen Satelliten.“

Der mit modernster Technik ausgestattete Satellit der europäischen Raumfahrtagentur ESA sollte in einer geostationären Umlaufbahn in 36.000 Kilometern Höhe unter anderem erproben, wie Satelliten per Laserfunk untereinander Daten austauschen können. Als erster europäischer Telekommunikationssatellit besitzt er neben einem chemischen Antriebssystem auch ein neuartiges Ionentriebwerk. Die Kombination aus beiden Antriebsarten ermöglichte den Ingenieuren eine langwierige und erfolgreiche Rettungsaktion. Und damit wurde aus der befürchteten Millionenpanne eine Erfolgsgeschichte.

Artemis hatte genügend herkömmlichen chemischen Treibstoff – Hydrazin und Stickstofftetraoxid – an Bord, um wenige Tage nach dem missglückten Start aus seinem elliptischen 17.000-Kilometer-Orbit in eine kreisförmige, 31.000 Kilometer hohe vorläufige Umlaufbahn befördert zu werden. In den nachfolgenden Monaten programmierte das Artemis-Team den Satelliten neu. Die Ionentriebwerke beispielsweise wurden ursprünglich eingebaut, um den Satelliten in seinem endgültigen geostationären Orbit zu stabilisieren und Bahnstörungen zu korrigieren, die durch die Gravitationskraft der Sonne und des Mondes entstehen. Nach dem Fehlstart wurden diese Ionentriebwerke umfunktioniert: Nun dienen sie als Antrieb, um Artemis überhaupt erst in seine endgültige Umlaufbahn zu bringen.

Ein bahnbrechendes Experiment: Zwar sind Ionentriebwerke in den vergangenen Jahren mehrfach in kommerziellen Telekommunikationssatelliten eingesetzt worden, jedoch mit einigen technischen Misserfolgen und auch nur zur Lageregelung von Satelliten. Lediglich in der Nasa-Kometensonde Deep Space 1 dienten Ionentriebwerke als Antriebssystem.

Bei dem Ionenrückstoßprinzip werden Atome des Edelgases Xenon ionisiert, also elektrisch positiv geladen, und dann mit hoher Geschwindigkeit aus dem Triebwerk herausgeschleudert. Der Xenonstrahl hat zwar nicht die Kraft eines chemischen Triebwerkes und beschleunigt ein Raumfahrzeug nur sehr langsam. Dafür aber ist das Ionenrückstoßprinzip weitaus effektiver. Um denselben Schub zu erreichen, wird zehnmal weniger Treibstoff als bei einem chemischen Antrieb verbraucht.

Bekannt ist das Ionenrückstoßprinzip seit Jahrzehnten. Die ersten Ionentriebwerke wurden in den Fünfziger- und Sechziger Jahren von dem Nasa-Ingenieur Harold Kaufmann entwickelt, erste Einsätze in Experimentalraumsonden fanden in den USA in den Siebzigerjahren statt. Auch die Sowjetunion stattete einige Satelliten seit den Siebzigerjahren mit Ionen-Lageregelungstriebwerken aus. Die Xips-Ionentriebwerke der amerikanischen Firma Hughes finden seit 1997 Einsatz in privaten, kommerziellen Telekommunikationssatelliten. Das eigentliche Triebwerk der meisten bisherigen Typen ist dabei kaum größer als ein Schuhkarton.

So einfach die Idee des Ionenrückstoßprinzips klingt, so kompliziert und teuer ist der Bau von Ionentriebwerken bislang. Bei denen nach Kaufman benannten Triebwerken werden von den Atomen des Edelgases Xenon in einer Ringmagnetenkammer Elektronen abgespalten. Dies geschieht durch Lichtbogenentladungen einer Kathode. Am Ende der Kammer befindet sich ein Metallgitter, an dem Hochspannung anliegt. Das Gitter übt einen elektrostatischen Sog auf das ionisierte, positiv geladene Gas – das Xenonplasma – aus und beschleunigt es auf bis zu 40 Kilometer pro Sekunde.

Der Schub, der durch den austretenden Gasstrahl erzeugt wird, entspricht etwa dem Druck, das ein Blatt Papier ausübt, wenn es auf einer Handfläche liegt. Was ein chemischer Antrieb in Minuten schafft, dafür benötigt ein Ionenantrieb Wochen oder Monate. Da jedoch ein Ionentriebwerk mit sehr wenig Treibstoff auskommt und das Xenonplasma auf sehr hohe Geschwindigkeiten bringt, kann ein Raumfahrzeug über entsprechend lange Zeit weit stärker beschleunigt werden als mit chemischem Antrieb.

Mit der Kometensonde Deep Space 1, die im Oktober 1998 startete und letzten Dezember ihre Mission beendete, zeigte die US-amerikanische Raumfahrtagentur Nasa, wie erfolgreich Ionentriebwerke bei Missionen über große Entfernungen eingesetzt werden können. Das Triebwerk von Deep Space 1 arbeitete insgesamt fast zwei Jahre lang, während dieser Zeit weitgehend fehlerfrei und verbrauchte auf dem Weg der Sonde von knapp 200 Millionen Kilometern etwa 60 Kilogramm Xenon.

Der ESA-Satellit Artemis wurde mit dem in Deutschland entwickelten und gebauten Ionenantriebvom Typ Rita (Radiofrequenz-Ionentriebwerksaggregat) ausgestattet. In ihnen wird das Xenon durch Hochfrequenzstrahlung einer Spule ionisiert.

Nach sechsmonatiger Vorbereitung wurden Ende Februar die Ionentiebwerke von Artemis gezündet, um den Satelliten von derzeit 31.000 Kilometern Höhe auf seinen Endorbit in 36.000 Kilometer Höhe zu bringen. Das Manöver, für das die Ariane-Rakete ein paar Minuten gebraucht hätte, wird nun etwa 200 Tage dauern. Insgesamt verbraucht der Satellit dabei nur 20 Kilogramm Xenon und wird danach noch genügend Vorrat des Edelgases haben, damit die Triebwerke wieder zur Lageregelung des Satelliten dienen können.

„Durch den Raketenfehler sind wir zu nicht geplanten Experimenten gezwungen gewesen“, sagt der Missionsleiter Gotthard Oppenhäuser. „Das hat uns vielleicht mehr Aufmerksamkeit und Anerkennung eingebracht, als wir bekommen hätten, wenn alles normal gelaufen wäre.“