Count-down für Temelín 2

Im zweiten Block des böhmischen Atomkraftwerkes soll kommende Woche die Kernspaltung starten. Daran wird auch die öffentliche Anhörung nichts ändern, die gestern in Passau über die Bühne ging

aus Prag ULRIKE BRAUN

Der Kern im zweiten Block des südböhmischen Atomkraftwerk Temelín steht kurz vor seiner Spaltung: Die Kraftwerksleitung will in der kommenden Woche die Kettenreaktion starten. Bis dahin, so AKW-Sprecher Milan Nebesar, sollten alle erforderlichen Tests abgeschlossen und die Ergebnisse dem tschechischen Amt für Kernsicherheit übergeben worden sein.

Während man in Temelín 2 alles auf die Brennstoffaktivierung vorbereitet, untersucht ein Team der Internationalen Agentur für Atomenergie (IAAE) die Sicherheit des Meilers. Den Ergebnissen der mittlerweile neunzehnten IAAE-Untersuchung seit 1998 sieht man in Temelín gelassen entgegen. „Wir haben internationale Standarts erfüllt und unsere Anlage entspricht heute dem Besten, was es auf der Welt gibt“, so AKW-Sprecher Nebesar.

Nicht ganz so überzeugt ist man jenseits der böhmischen Grenzen. In Passau fand gestern erstmals eine öffentliche Anhörung statt, bei der Bürger aus Deutschland von den tschechischen Behörden direkt angehört wurden. Außer viel heiße Luft wird die aber nichts bringen: Umweltminister Jürgen Trittin (Grüne) hatte im Vorfeld die „dürftigen Prüfungsunterlagen“ angeprangert, die vom Nachbarn zur Verfügung gestellt worden. Mit denen aber hatte Umweltminister Miloš Kuzvart seinen Hals riskiert. Die Passauer Anhörung, die im Rahmen der internationalen Umweltverträglichkeitsprüfung Temelíns stattfindet, sei überflüssig, urteilte das tschechische Kabinett. Schließlich hätte schon im Herbst eine Anhörung im böhmischen Tyn nad Vltavou stattgefunden. Die Passauer Anhörung sei eine Extrawurst für die Deutschen. Dass Kuzvart diese sogar mit Trittin ausgehandelt habe „schade tschechischen Interessen“, ließ Außenminister Jan Kavan in ungewohnt scharfem Ton wissen.

Ein „scharfes“ Argument versucht sich nun auch die Bürgerinitiative „In der Havariezone des AKW Temelín“ zu organisieren: Sie strengt jetzt vor Gericht eine einstweilige Verfügung an, um die Brennstoffaktivierung im zweiten Reaktorblock zu verhindern. Zu viele sicherheitstechnische Fragen seien noch offen, so die Initiative. In Berufung auf eine deutsch-tschechische Expertise hinterfragt die Vereinigung den engen Zusammenlauf der Wasser- und Dampfleitungen, der eventuell gefährlich werden könnte. Aber auch diese Frage weist man in Kraftwerk und Kernsicherheitsamt ab. „Das Problem ist längst behoben“ erklärte Sprecher Nebesar.

Angst vor dem AKW geht nun – da seine volle Inbetriebnahme immer wahrscheinlicher wird – auch jenseits der Anti-Atom-Fron um: Die Kohlekumpels in Nordböhmen fürchten um ihre Jobs. Temelín bedeutet weniger Heizkraftwerke und damit weniger Kohle. Pessimistische Prognosen weisen rund 30.000 Arbeitslosen mehr aus. Selbst Vladimir Spidla, Sozialminister und Chef der tschechischen Sozialdemokraten war trotz Wahlkampf äußerst offen. Bei seinem Besuch in Most warnte auch vor einer soziale Situation, die „dramatisch“ werden könnte.