Frauen sind Ziele zweiter Wahl

Die Palästinenserin Ghada Naser beschreibt ihre der Welt verborgene Realität

[…] Wir verbringen unsere Tage damit, zu erfahren, wie es unseren Geliebten geht. Wir kriechen auf dem Boden, um uns im sichersten Bereich des Hauses zu verstecken, sobald die Panzer rund um unsere Häuser wahllos zu schießen beginnen. Gewehrsalven hallen Tag und Nacht durch die leeren Straßen. Der Schlaf ist aus den Augen der Erwachsenen und Kinder verschwunden.

Seit dem 29. März leben wir so – in Ramallah, Al-Bireh und den umliegenden Orten. Israelische Panzer bahnen sich ihren Weg durch die Trümmer, Straßen sind mit Bulldozern zerstört, Gebäude abgebrannt, Supermärkte geplündert, Banken ausgeraubt, Bäume entwurzelt, Wohnhäuser besetzt, die Jugend ins Gefängnis gesteckt, verletzt oder tot.

Es reicht, ein palästinensischer Mann zu sein, egal ob Zivilist oder in Uniform, um Ziel israelischer Heckenschützen zu werden. Frauen und Kinder gelten als Ziele zweiter Wahl. Hunderte palästinensische Jugendliche und Männer zwischen 16 und 50 Jahren werden auf Plätzen zusammengetrieben und stunden- und tagelang in der Kälte und im Regen stehen ge lassen, bevor sie in israelische Militärgefängnisse verschleppt werden. Die Augen der Männer sind verbunden, ihre Hände auf den Rücken gebunden mit einem Kunststoffdraht, der von den israelischen Soldaten so fest wie möglich gezogen wird. Augenzeugen berichten, dass Männer gefoltert werden, mit Tränengas beschossen, gezwungen, sich auszuziehen. Die meisten sind palästinensische Zivilisten, die sich zufällig in der Nachbarschaft, einem Gebäude oder einer Straße aufhalten, die die israelischen Besatzungsmächte besetzen und zerstören. Jeder könnte ein Ziel sein. […]

Wie viele Tage kann ein Mensch ohne Wasser und Brot überleben? Die meisten palästinensischen Familien haben immer Vorräte an Nahrung. Allerdings früher oder später gehen sie alle aus. Viele Familien müssen schon betteln. Israelische (Besatzungs-)Kräfte haben alle elektrischen Leitungen abgeschnitten und Umspannwerke mit Bulldozern zerstört und bombardiert, zusätzlich zu den Wasserleitungen, so dass rund 50.000 palästinensische Zivilisten seit Tagen ohne Strom und Wasser sind. Rettungskräften wird nicht erlaubt, die Kranken, Verletzten oder Toten in die Krankenhäuser zu bringen, hungrigen Familien und Kindern Hilfe zu bringen. Rettungswagen und Mediziner sind Lebensretter; die einzigen, die sich auch in Kriegszeiten bewegen dürfen. Doch Ärzte und ihre Helfer wurden schon von den israelischen Besatzern getötet. Körper liegen auf den Straßen und in den Häusern, tot oder verblutend, und keiner darf zu ihnen. […]

Man muss sich einfach fragen, was die wirkliche Absicht Israels ist, nach all dem, was gerade geschieht. Eines ist sicher: Es will das Land ohne sein Volk! Gott weiß, wie es das erreichen will!

Ich persönlich ziehe den Tod einem Leben als Flüchtling, der seines Existenzrechts, seiner Arbeit, der Bewegungsfreiheit und seines Lebens beraubt ist, vor.

GHADA NASER