Häuserkampf, literarisch

Wer als nicht mehr heilbar gilt, dem wird der Schlauch abgeklemmt: Auch Berlins große Literaturhäuser sind vom neuen Sparhaushalt betroffen. Handelt es sich dabei um Peanuts?

von ANSGAR WARNER

Wenn Peter Radunski, Berlins ehemaliger Senator für Wissenschaft, Forschung und Kultur, irgendwann einmal aus seinen Memoiren vorlesen möchte, wird man ihm wohl in den Literaturhäusern der Stadt keinen roten Teppich ausrollen. Schließlich ist er der Erfinder der „Kulturkreise“, die unter dem Punkt „Literatur“ seit 1996 u. a. das Literarische Colloquium am Wannsee, das Literaturhaus Fasanenstraße sowie die Ostberliner Literaturwerkstatt in einem Topf schmoren lassen.

Die Idee, die Berliner Kulturlandschaft in solche Themenkreise zu gliedern, sollte eine „ganzheitliche Strukturdiskussion“ ermöglichen. An deren Ende sollte eine „bewusste, sachorientierte Entscheidung über die für Berlin notwendigen Aufgaben und ihre Finanzierung“ stehen, die „von allen Beteiligten mit getragen“ würde.

Zunächst einmal war jedoch der Ring freigegeben für den edlen Wettstreit der Institutionen. Einige Zeit sah es so aus, als würde die erst 1989 gegründete Literaturwerkstatt in Pankow den schwarzen Peter zugeschoben bekommen. Finanzzusagen des Senats wurden nicht oder erst in letzter Minute eingehalten, die Mittel für den Programmetat wurden mehr und mehr von den Fixkosten aufgefressen.

Dann wurde das gesamte Domizil am Majakowskiring von der gemeinsamen deutsch-deutschen Vergangenheit eingeholt: das Mitte der Dreißigerjahre den jüdischen Eigentümern per Enteignung geraubte Grundstück wurde rückübertragen. Mittlerweile ist die literarische Institution in die Kulturbrauerei im Prenzlauer Berg umgezogen. Dafür geht es neuerdings den Westkollegen an den Kragen: Als der frisch gewählte PDS-Senator Thomas Flierl im März den neuen Haushaltsplan für den Bereich Wissenschaft und Kultur vorstellte, hat es die Literaturhäuser im Westen der Stadt voll erwischt. Die „bewusste, sachorientierte Entscheidung über die für Berlin notwendigen Aufgaben und ihre Finanzierung“ war offenbar getroffen worden – allerdings ohne Beteiligung der Beteiligten.

Verwundert rieben sich die Leiter der Westberliner Einrichtungen die Augen: Nicht nur von 50.000 Euro Einsparungen war plötzlich die Rede, sondern auch von einer zukünftigen „Verwaltungskooperation“. Da Ende 2003 Herbert Wiesner, der Leiter des Literaturhauses Fasanenstraße, in den Ruhestand gehen wird, hieße das wohl: „freundliche“ Übernahme des Hauses durch die Kollegen aus dem Berliner Südwesten.

In der Fasanenstraße gibt man sich angesichts solcher Aussichten allerdings relativ gelassen: „Irgendjemand ist immer auf der Abschussliste.“ Verstehen kann Wiesner die Kürzungsdebatte in diesem Bereich aber nicht. Für den Literatur- und auch den Verlagsstandort Berlin werde ohnehin seit Jahren zu wenig getan.

Nicht einmal mehr ein halbes Prozent des Kulturhaushaltes sei die Literatur der Politik wert – und das sei, gerade im Vergleich mit früheren Jahren, ohnehin viel zu wenig. Inzwischen hat sich der Förderverein des Literaturhauses Fasanenstraße an die Staatsekretärin für Kultur, Krista Tebbe, gewandt – offenbar mit Erfolg. In einem Anfang der Woche eingegangenen Antwortschreiben, so Wiesner, sei die ursprüngliche Einsparsumme korrigiert worden. Nur noch die Hälfte, also 25.000 Euro, sollen von seinem Literaturhaus erbracht werden, die andere Hälfte durch das Literarische Colloquium. Auch die „Verwaltungskooperation“ sei nun plötzlich nicht mehr zwingend – wie die Einsparsumme erbracht wird, wolle man nun netterweise den Betroffenen überlassen.

Einer Kooperation scheint Wiesner aber nicht grundsätzlich abgeneigt zu sein. Ohnhehin ist er den vor sich hin schwelenden Literaturhäuserkampf einigermaßen Leid. Anders als in der FAZ verlautete, habe sein Haus keine Profildefizite, man biete mehr als „Lesungen mit Wasserglas und Dichterräuspern“. Wie in anderen Bereichen auch setze offenbar die Politik seit längerem darauf, unterschiedliche Einrichtungen gegeneinander auszuspielen. Bei der Gründung Mitte der Achtzigerjahre hätten zum Beispiel böse Zungen behauptet, das Literaturhaus Fasanenstraße solle dem Literarischen Colloquium langfristig das Wasser abgraben. In der Fasanenstraße werde man sich aber auch jetzt auf solche Spielchen auf keinen Fall einlassen.

Ins gleiche Horn stößt Ulrich Janetzki, Leiter des Literarischen Colloquiums. Die geplante „Verwaltungskooperation“ überhaupt zu kommentieren, so lange Kollege Wiesner noch im Amt sei, lehnt Janetzki als „unkollegial“ ab. Im Übrigen wisse er auch nichts von einer Beteiligung seines Hauses am geplanten Einsparvolumen. Offenbar gibt es ein Kommunikationsproblem. In der Pressestelle des Senators Flierl kann man diese Auffassung nämlich überhaupt nicht verstehen: dass die Einsparsumme auf beide Häuser verteilt werden solle, sei doch von Anfang an klar gewesen. Statt wie ursprünglich die Förderung eines Haus ganz auf Null zu fahren, habe man sich eben zu dieser Kompromisslösung durchgerungen. Außerdem handele es sich bei der Summe im Vergleich zu anderen Bereichen doch eigentlich um „Peanuts“.

Am Ende sind die rührigen LCBler vielleicht sogar selbst schuld daran, dass man sie im Hause Flierl als potenzielles Sparziel ausgemacht hat – durch die Einrichtung von „Wirtschaftsteilen“ hat man nämlich die Einrichtung nach und nach in die Gewinnzone gebracht. Auch in der Drittmitteleinwerbung sehen sich die Zehlendorfer an der Spitze. Tja, Drittmittel … Wie man am Beispiel des Universitätsklinikums Benjamin Franklin sehen kann, schützt die Höhe eingeworbener Mittel von Sponsoren aus der Wirtschaft eine öffentliche Einrichtung in diesen Tagen auch nicht so recht vor den Sparallüren der Politik.

Tatsache ist: Ähnlich wie im Wissenschaftsbereich herrscht auch im Kulturbetrieb zur Zeit offenbar Triage-Stimmung: Wer als nicht mehr heilbar gilt, dem wird der Infusionsschlauch abgeklemmt. Doch wer soll die Diagnose stellen? Und nach welchen Kriterien?

So richtig vergleichen lassen sich die drei großen Literaturhäuser der Stadt – abgesehen von den blanken Zahlen – nämlich nicht. Zu unterschiedlich sind die programmatischen Schwerpunkte, zu zahlreich die Kooperationen mit anderen Institutionen. Die Betreiber der Literaturwerkstatt in der Kulturbrauerei etwa setzen verstärkt auf den Eventcharakter von Veranstaltungen, die Autoren der Off-Szene einem eher jugendlichen Publikum nahe bringen. Prominentestes Beispiel: der alljährliche Open-Mike-Wettbewerb. Im Internet haben die Literaturwerker unter www.lyrikline.org eine Plattform für die Verbreitung von Dichtung geschaffen, die Gedichte hörbar macht und das Lesen in verschiedenen Sprachen ermöglicht. Mehrstündige Lyriksendungen im ZDF, die gemeinsam mit der Redaktion des „Nachtstudio“ und dem DeutschlandRadio Berlin veranstalteten wurden, hatten Einschaltquoten von über 200.000 Zuschauern. Ähnliche mediale Präsenz, wenn auch von konservativerem Zusschnitt, zeigt das Literarische Colloquium am Wannsee: regelmäßig werden Lesungen im Deutschlandradio und regionalen ARD-Anstalten präsentiert. Wichtigster Schwerpunkt ist neben dem normalen Veranstaltungsprogramm die Förderung von in- und ausländischen Literaten und Übersetzern durch Workshops, Stipendien und Aufenthalte in der altehrwürdigen Villa am Wannsee.

Programmatisch am weitesten gespannt – zumindest historisch – ist der Themenreigen allerdings im Literaturhaus Fasanenstraße. Das Haus hat schon alles Mögliche beherbergt: Reservelazarett, Kaffeehaus, Bordell und schließlich eine Diskothek. Vor Ort ist man heutzutage mit einer Buchhandlung und einem Café in der westlichen Innenstadt präsent. Neben den zahlreichen Lesungen und Gastveranstaltungen macht man mit ambitionierten Ausstellungsprojekten auf sich aufmerksam. Und hält sich zugute, dass eine Vielzahl literarischer Texte auf Anregung des Literaturhauses geschrieben, dort vorgetragen und zum Teil auch in einer eigenen Buchreihe publiziert worden sind. Von einer solch breiten Angebotspalette können die Literaturhäuser anderer Großstädte oft nur träumen.

Manche der zumeist erst in den Achtziger- und Neunzigerjahren gegründeten Literaturhäuser verfügen auch nicht über eigene Immobilien. Springt die öffentliche Hand nicht in die Bresche, müssen private Sponsoren die Hauptlast tragen, in Hamburg etwa die Bucerius-Stiftung, in München der Bertelsmann-Konzern.

Brät sich Berlin auf dem Gebiet der Literaturförderung eine Extrawurst? Bettina Fischer, Geschäftsführererin des Literaturhauses Köln, kann jedenfalls über die hauptstädtische Einsparsumme nur müde lächeln: „Der Betrag ist höher als das, was wir überhaupt von der Stadt bekommen.“ Alles Übrige müsse durch Sponsoren eingeworben werden, zur Zeit etwa 250.000 Euro pro Jahr. Das in einem nüchternen Bürokomplex logierende Literaturhaus wird von nur zwei festen Mitarbeitern betreut. Diese äußerst schlanke Struktur darf aber auch nicht verwundern: „Als unsere Einrichtung auf Betreiben einer Bürgerinitiative Mitte der Neunzigerjahre gegründet wurde, war die Epoche breit angelegter öffentlicher Kulturförderung leider schon vorbei.“ Anfangs habe man von der Stadt praktisch gar nichts bekommen. Dann sei aber nach und nach der Nutzen eines Literaturhauses nicht nur für die Stadtkultur, sondern auch für die Verlags- und Medienlandschaft vor Ort ins Bewusstsein der Kommunalpolitiker gedrungen. So ist Köln mittlerweile nicht nur die Medienmetropole, sondern kann auch mit einer äußerst lebendigen Literaturszene aufwarten. Mit der Anziehungskraft Berlins konkurrieren, so Fischer, könne man angesichts der Finanzlage natürlich nicht: „Etliche Autoren sind in der Vergangenheit von Köln nach Berlin abgewandert.“ Trotzdem begreift man am Rhein die Kollegen von der Spree nicht als Konkurrenz, sondern als Partner: Man arbeite etwa mit dem Literaturhaus Fasanenstraße in einem überregionalen Netzwerk zusammen. Unlängst habe man einen eigenen Literaturpreis aus der Taufe gehoben: die Preisträgerin werde in der nächsten Zeit durch die Literaturhäuser der Republik touren –nur ein Beispiel dafür, wie man in Zukunft zusammenarbeiten wolle.

Just im Moment schreibt Fischer übrigens gerade an einer Solidaritätsbekundung für die Berliner Literaturhäuser: „Die Verantwortlichen müssen begreifen: Natürlich kann man Geld einsparen, aber dann gibt’s auch keine entsprechenden Leistungen mehr. Stipendien, Förderpreise, regelmäßige Events in den verschiedenen Häusern, die ganz unterschiedliche Klientelenbedienen können: Ohne die bisherige Förderung wird Berlin seine große Anziehungskraft als Literaturort verlieren!“